"Jola ist ein Teil von mir ..."

360 Grad, 6. Ausgabe (Winter 2009)

..., sagt Guido Demont, Präsident der Lawinenhundegruppe Oberengadin, über seine Deutsche Schäferhündin, mit der er auch in diesem Winter auf die Suche nach Verschütteten gehen wird. „360 Grad“ sprach mit dem ehrenamtlichen Retter über seine Motivation, das intensive Training von Mensch und Tier sowie die Bedeutung von Hundenasen im Zeitalter immer präziser werdender Ortungsgeräte und modernster Rettungstechnik.

Bis vor 21 Jahren hatte Guido Demont, damals Bäcker und Konditor in Celerina, nichts mit Hunden zu tun. Dann trat Tosca in sein Leben – eine Deutsche Schäferhündin im Welpenalter – und seither bestimmt die Arbeit mit den Vierbeinern einen grossen Teil seiner Freizeit. „Die Freude an Hunden hat mich dazu veranlasst, Lawinenhundeführer werden zu wollen“, erinnert sich der begeisterte Bergwanderer und Skifahrer. „Ich habe Tosca daraufhin ganz gezielt ausgesucht“, sagt Demont. Dabei kommt es weniger auf die Rasse, sondern mehr auf Körperbau und Charakter eines Hundes an. Beim Klettern, Kriechen und Springen im Schnee wird der Knochenbau stark beansprucht.


Zu schwere Hunde sind nicht belastbar, zu kleine Hunde können kaum grössere Abstände überwinden. Allerwichtigstes Kriterium ist aber, dass der Hund Vertrauen zu seinem Herrchen und Freude an anderen Menschen hat. Und so führte der damals 32-Jährige Tosca schon früh an ihre künftige Aufgabe heran, mal mit spielerischen Übungen im Gelände, Bewegung im Strassenverkehr oder mit gemeinsamen Sessellift-Fahrten. „Man muss immer wieder positive Erlebnisse für das Tier schaffen und ihm zeigen, dass es keine Angst haben muss.“ Aber auch Guido Demont musste die Schulbank drücken, Erste-Hilfe-Kurse absolvieren sowie den Umgang mit Karte und Kompass, Sonde und Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS) erlernen.

 

„Für den Hund ist die Suche nach Vermissten ein lustiges Versteckspiel“, betont Demont. Alle Übungen sind so ausgelegt, dass das Tier Spass an der Sache hat. „Früher wurde auch schon mal zugeschlagen, das ist heutzutage undenkbar. Mein Hund ist ein Teil von mir, mein Partner.“ Trainiert wird unter möglichst realen Bedingungen. Und so ging es nach erfolgreich absolvierter Eignungsprüfung mit Tosca auf den Berninapass, wo die junge Hündin immer schwerere Such-Aufgaben erhielt. Zunächst musste nur Herrchen in einem 60 bis 70 Meter entfernten Loch gefunden werden, am Ende eine fremde Person unter einer Schneedecke. „Nach diesem Kurs, AK1 genannt, ist das Lawinenhunde-Team (LH-Team) aber noch immer nicht einsatzfähig. „Man ist dann aber zumindest so weit, dass man mit erfahrenen Teams losziehen und sich dabei viel abschauen kann“, gibt der gebürtige Engadiner einen Einblick in die zeitaufwändige Ausbildung. Erst nach einem weiteren Jahr und dem erfolgreich absolvierten Kurs AK2, bei dem der Hund nicht nur Menschen, sondern auch unter Schnee verschüttete Textilien „erschnüffeln“ muss und der Hundeführer in Theorie und Praxis vieles über Lawinen, Schneekonsistenz und Suchtaktik lernt, ist man ein „aktives Team“. Jeweils zwei der insgesamt zehn aktiven Teams haben eine Woche lang Pikett – wie man in der Schweiz den Bereitschaftsdienst auch nennt. Sie müssen dann nicht nur jederzeit über Pager oder Funk erreichbar und verfügbar sein, sondern auch immer den Hund dabei haben.

Trotz der immer besseren Technik sind die Hunde auch heutzutage unverzichtbar. „Es gibt immer wieder Tourenfahrer, die ohne Lawinenpiepser unterwegs sind, das Gerät nicht eingeschaltet oder verloren haben.“ Nicht nur von der Schneehöhe, sondern auch von der -beschaffenheit hängt es ab, ob die Witterung aufgenommen werden kann. „Wenn der Schnee im Frühjahr sehr kompakt ist, wird es deutlich schwieriger, weil es dann einfach länger dauert, bis der Geruch durch den Schnee nach oben zieht“, so Demont. Der heute 53-Jährige hat mittlerweile nicht mehr Tosca, die 14 Jahre alt wurde, sondern Jola, ebenfalls eine Deutsche Schäferhündin, an seiner Seite. Mindestens eine Stunde müssen Jola und ihre tierischen Kollegen im Ernstfall am Stück schnüffeln. Danach muss eine kurze Pause eingelegt werden, denn für den Hund ist die Suche mindestens so anstrengend wie für den Menschen. „Es ist natürlich ein grosses Glücksgefühl, wenn wir Verschüttete lebend bergen können“, sagt Demont. „In diesen Momenten weiss man dann auch, warum man dieses zeitaufwändige Hobby betreibt. Es ist einfach schön, wenn wir Menschen retten können.“ Und auch die Hunde spüren, wenn sie etwas gut gemacht haben – nicht nur wegen des Leckerchens, sondern vor allem bemerken sie die positiven Emotionen der Menschen um sie herum. Die Bergbahnen ENGADIN St. Moritz AG wissen ebenfalls, was sie an der Lawinenhundegruppe Oberengadin haben und sponsern die ehrenamtliche Tätigkeit mit einem nicht unerheblichen Betrag, der dazu verwendet wird, Aus- und Weiterbildungskurse zu bezahlen oder neue Ausrüstung, beispielsweise Tourenski, Funkgeräte oder LVS-Geräte, anzuschaffen. Am Abend eines langen Einsatztages geht Demont eine Extrarunde Gassi mit Jola und streichelt sie. Sie schaut ihn mit ihren grossen Augen an. Wenn sie reden könnte, würde sie vielleicht sagen: „Haben wir doch wieder gut gemacht – oder?“

Guido Demont
ist im Engadin geboren, 53 Jahre alt und verheiratet. Er arbeitete lange Jahre selbstständig als Bäcker und Konditor in Celerina, bevor er seinen Job an den Nagel hängte und als Transporthelfer zur „Rettung Oberengadin“ wechselte, wo er seither im Schichtdienst Rettungswagen fährt. In seiner Freizeit spielt der Vater zweier erwachsener Kinder gern Gitarre.