„Einige Gäste denken, dass wir alle im Urlaub sind, wenn die Bahnen zwischen den Saisons nicht fahren“, sagt Fausto Chiesa, bei der Corvatsch AG für den Bereich Betrieb und Technik verantwortlich. Doch für Ferien war in den vergangenen Wochen kein Platz im Terminkalender von Fausto Chiesa und seinen Kollegen. Denn bei fast allen Oberengadiner Bergbahnen haben umfangreiche Revisionsarbeiten stattgefunden. So auch auf Corviglia. „Sicherheit ist bei uns oberstesGebot, deshalb prüfen wir regelmässig sämtliche Bauteile aller Bahnen“, berichtet Claudio Lattmann, Technischer Leiter der Bergbahnen ENGAD IN St. Moritz AG . Die 360 Grad-Redaktion war sowohl bei der Demontage der tonnenschweren Laufwerke der Corvatsch-Bahn als auch beim Ausbau der Standseilbahn-Fahrwerke auf Corviglia dabei.
Es ist Ende April. Wo vor wenigen Tagen noch Skifahrer und Snowboarder die Pisten bevölkerten und die beiden Standseilbahnen (die Chantarella Bahn von St. Moritz Dorf – Chantarella sowie die Corviglia Bahnvon Chantarella – Corviglia) im unermüdlichen Dauereinsatz Gäste auf den Berg brachten, ist nun Ruhe eingekehrt. Fast jedenfalls. Denn aus der Bergstation der Chantarella Bahn tönt ein dumpfes Hämmern. Im Inneren des Gebäudes sind der Technische Leiter Claudio Lattmann und sein Team gerade dabei, das etwa 3,5 Tonnen schwere Fahrwerk von Wagen Nummer 2 zu demontieren. Das blaue Gefährt hängt – befestigt an Kettenzügen – unter der Decke. Obwohl der Zeitplan eng gesteckt ist, findet Lattmann einige Minuten Zeit für uns: „Ungewohnter Anblick, oder?“ fragt er, als er unseren überraschten Blick sieht. Eine „schwebende“ Standseilbahn sieht man halt nicht alle Tage. „Wir sind schon einige Tage bei der Arbeit“, erzählt der gelernte Konstruktionsschlosser. Bereits einen Tag nach dem Ende der Wintersaison wurden zunächst die Stromleitungen demontiert – übrigens auch bei der Chantarella Bahn, denn dort steht ebenfalls eine Fahrwerks-Revision an.
„Für Laien sehen die Bahnen ja fast gleich aus, bei der Technik jedoch gibt es grosse Unterschiede“, so der Technische Leiter, der die Chantarella Bahn 1993 als Chefmonteur bei „Von Roll“ mit aufgebaut hat. Diese verfügt über ein Drehgestell, dagegen hat die Mitte der 80er Jahre gebaute Corviglia Bahn starre Achsen mit Einzelradaufhängungen.
„Es wird also nicht langweilig“, sagt der passionierte Skifahrer schmunzelnd. „Wenn wir mit der Demontage fertig sind, werden die Fahrwerke mit einem Autokran auf Tieflader gehoben
und ins Werk gebracht, wo sie dann auf Herz und Nieren geprüft werden. Ein kleiner Riss könnte grosse Auswirkungen haben. Und bei den Bergbahnen ENGADIN St. Moritz AG hat die
Sicherheit immer oberste Priorität“, stellt Lattmann klar. Die insgesamt vier Wochen, in denen die Fahrwerke extern geprüft werden, nutzt das Corviglia-Technik-Team, um die
gesamte Strecke zu kontrollieren: Schrauben werden nachgezogen, Rollen ausgetauscht, die Übergänge der Ausweiche wieder perfekt aufeinander abgestimmt – und alles wird gründlich
gefettet. „Wenn die Fahrwerke wieder angeliefert und montiert sind, ist die Arbeit noch längst nicht zu Ende“, so der Technische Leiter. Dann nämlich finden noch umfangreiche
Tests aller Bremssysteme statt. „Um realistische Bedingungen zu schaffen, beladen wir die Bahnen mit Betonklötzen bzw. Sandsäcken.“ Auf Chantarella ist das echte Handarbeit.
Und da die ganz besonderen „Fahrgäste“ rund acht Tonnen auf die Waage bringen, „weiss man am Abend, was man getan hat“, sagt der gut trainierte Skifahrer, der früher auch
professionell im Bob unterwegs war. „Claudio...?!“, ruft einer von Lattmanns Kollegen. „Dann muss ich mal wieder...“ verabschiedet sich der sympathische Bergbahner und
geht wieder an die Arbeit.
Einige Kilometer entfernt, am Corvatsch, sind Fausto Chiesa und sein Team ebenfalls bei der Arbeit. Bei einer der Kabinen der unteren Sektion, die zwischen Surlej und der
Mittelstation pendelt, steht die Revision des Laufwerks an. Dafür ist die Kabine bereits ausgehängt und steht vor der Talstation. „Das ist alle sechs Jahre fällig“, erklärt der
Technik-Chef. Neun Meter lang und rund vier Tonnen schwer ist das Laufwerk, das unter anderem aus einzelnen Rollenbatterien besteht. Es dient im täglichen Betrieb dazu, die Kabine
über die beiden Tragseile zu führen und die so genannte Wanderlast zu tragen – bei voll besetzter Kabine um die 20 Tonnen. Auch die verschiedenen Bremssysteme sowie die Hydraulik
der Fangbremse sind in den Laufwerken eingebaut. „Solch ein Laufwerk besteht aus Tausenden von Einzelteilen“, sagt Fausto Chiesa, „und bei der Revision wird es bis zur letzten
Feder auseinandergebaut“. Im Werk werden die Teile anschliessend mit speziellen Röntgengeräten auf Risse geprüft. „Die Mechanik einer Bergbahn ist gar nicht so komplex. Der wunde
Punkt ist meistens die Elektronik“, erklärt er. Und davon gibt es reichlich: „Allein im Türbereich gibt es 72 Mikroschalter, die das ordnungsgemässe Öffnen und
Schliessen überwachen.“ So könne es schnell passieren, dass ein Defekt in einem Fünf-Franken-Teil den gesamten Bahnbetrieb zum Erliegen bringt. Umso wichtiger sei eine gut geplante
regelmässige Wartung: „Es können dann zwar immer noch Störungen aus dem Nichts heraus auftreten, aber das Risiko wird deutlich reduziert“, sagt der Mann, der seit 18 Jahren bei
der Corvatsch AG tätig ist und jedes Zahnrad kennt. Rund CHF 80000 werden pro Jahr am Corvatsch in die Laufwerk-Revision investiert.
Hinzu kommen die Kosten für die weiteren Revisionsarbeiten, wie Schrauben- und Seilkontrollen, Motor- und Getriebeprüfungen, Fetten, Schmieren und und und. Auf der anderen Seite
des Tales rechnet Claudio Lattmann mit rund CHF 100000 pro Fahrwerk. Beträge, die oft vergessen werden, wenn über die Ticket-Preise diskutiert wird.