Es gibt Menschen, die sich gerne lautstark ins Rampenlicht drängen und solche, die lieber still im Hintergrund wirbeln. John Sinclair Kirkness, seines Zeichens seit 2003 Theaterleiter in Roncalli’s Apollo Varieté, in eine dieser Gruppen einzuordnen, fällt nicht schwer: Der gebürtige Schotte steht nicht gern im Mittelpunkt. Die Interviews, die er Pressevertretern seit seinem Amtsantritt gegeben hat, kann er noch immer an einer Hand abzählen. Für Duesseldorf-Magazin.info machte der sympathische Mitt-50er jedoch eine Ausnahme.
Herr Kirkness, Sie sind jetzt schon seit über fünf Jahren Theaterleiter im Apollo und haben es tatsächlich geschafft, dass die Presse fast nichts über Sie weiß…
John
Sinclair Kirkness: Was soll ich denn erzählen? Wie ich ans Apollo gekommen bin? Das ist dann aber eine längere Geschichte…
Wir haben ganz viel Zeit …
Kirkness: Also, aufgewachsen bin ich in Schottland in einer Gegend, wo man am Tag mehr Tiere als Menschen gesehen hat.
Er drängt sich nicht ins Rampenlicht: Apollo-Theaterleiter John Sinclair Kirkness. Foto: Philipp Nieländer
Ich habe dort dann noch mein Studium als Diplom-Kaufmann, mit dem Schwerpunkt Gastronomie im Krankenhausbereich, absolviert und wollte danach nach Frankreich. Aber irgendwie haben die dort nicht wirklich auf einen jungen Schotten, der gerade mit der Uni fertig war, gewartet, so dass ich keinen Job gefunden habe. Geklappt hat es dann in Frankfurt, wo ich im September 1976 als Kellner im Hessischen Hof angefangen habe. Damals hatte ich nur eine kleine Tasche dabei, in der zwei weiße Hemden, eine Hose und ein paar Kleinigkeiten waren.
Nicht gerade viel Gepäck. Hat der Start in Deutschland dennoch gut geklappt?
Kirkness: Ganz und gar nicht. Das Bügeln auf dem Zimmerfußboden hat zwar nach einiger Zeit funktioniert, aber ich habe schnell gemerkt, dass man mit vier Jahren Schuldeutsch nicht wirklich
weiterkommt. Ich konnte zwar ein paar Redewendungen, mich aber kaum mit den Gästen unterhalten. Trotzdem hat man an mich geglaubt und ich bin ein dreiviertel Jahr geblieben… Dann bin ich in ein
Hotel nach Travemünde gewechselt und bin dort sogar Oberkellner geworden. Die nächste Station war das Hotel Vierjahreszeiten in Hamburg, wo ich als Zimmerverkäufer angefangen habe und – dank
eines wundervollen Mentors – sogar bis zum stellvertretenden Direktor aufgestiegen bin. Das hätte ich am Anfang nie geglaubt… Irgendwann, nachdem ich auch in London und der Schweiz war, habe ich
das erste Hotel als Direktor eröffnet. Das war ein schöner Moment. Aber es gab auch traurige Momente. Einmal musste ich einen Konkurs abwickeln. Der harte Umgang mit Menschen ist nichts für
mich.
Und wie kam dann der Sprung vom Hotel zum Varieté?
Kirkness: Ich wollte es etwas ruhiger angehen lassen und hab mir gedacht, dass ein Varieté dafür doch ideal wäre. Schließlich gibt es da keine Zimmer und nur abends Vorstellungen. Also:
Wenig Arbeit – glaubte ich. So bin ich dann als Direktor im Essener GOP gelandet – das war mein letzter Job vor der Zeit im Apollo. Und ich habe schnell gemerkt, dass es kaum einen härteren Job
gibt, als den eines Direktors oder Theaterleiters in einer nicht subventionierten Kultureinrichtung. Also – nix mit Ruhe.
Warum ist der Job so hart?
Kirkness: Wir stehen mit dem Varieté ganz am Ende der Nahrungskette. Zunächst gibt man das vorhandene Geld für Familienbedürfnisse aus, dann für Urlaube, Wochenend-Tripps,
Schwimmbadbesuche und Grillabende. Und dann gibt es ja in einer Stadt wie Düsseldorf auch noch viele kurzzeitige Events – wie die Nacht der Museen, die Jazz Rally oder auch Circus-Gastspiele.
Dann sagen sich die Gäste: Gehen wir doch lieber dort hin – ins Apollo können wir dann ja immer noch mal, die sind ja das ganze Jahr da. Wir können uns auch nicht zurücklehnen, wenn ein Gast
einmal bei uns war und nicht darauf vertrauen, dass der schon von allein wiederkommt. Wir müssen hart dafür arbeiten… Und im Varieté gibt es immer nur eine Chance, sich zu präsentieren – hier
kann man nicht wie bei Filmdreharbeiten sagen: "Take 4 – nächster Versuch…"
Es gibt aber zum Glück auch viele Stammgäste, die das Apollo lieben. Macht es Sie eigentlich glücklich, wenn die Menschen gut gelaunt nach Hause fahren?
Kirkness: Glücklich ist das falsche Wort. Ich freue mich für alle, die daran beteiligt waren, dass der Abend ein Erfolg war. Es gibt hunderte Mosaiksteine, die zusammen eine gelungene
Vorstellung ergeben und wir sind ein Team von 150 Personen, da ist ein Erfolg nur in geringster Weise mein Verdient. Wenn mich Gäste nach der Show ansprechen, nehme ich das nur stellvertretend
für alle Mitarbeiter entgegen – für die Artisten, das Kassenpersonal, den Tellerwäscher und das Putzpersonal, das man nie sieht, aber das morgens ab 5.30 Uhr dafür sorgt, das unser Haus sauber
ist. Glück ist für mich, wenn ich ganz privat als Gast in eine Show gehe und einen schönen Abend hatte.
An welche Apollo-Momente erinnern Sie sich denn besonders gerne?
Kirkness: Oh – das ist eine genau so schwere Frage wie nach dem liebsten Artisten oder der schönsten Show. Das sind alles private Gefühle. Aber sehr emotional waren die Auftritte von
Konrad Thurano, mit dem ich vier Geburtstage feiern durfte, der aber ja mittlerweile leider verstorben ist. Er war ein Artist, der nicht in erster Linie für die Gage gearbeitet hat, sondern für
sein Publikum. Ich habe immer bewundert, wie er noch im hohen Alter aufgetreten ist.
Apropos Alter. Es gibt Fernsehen, Kinos, Playstation und natürlich das Internet. Warum braucht man da noch so etwas Altmodisches wie ein Varieté?
Kirkness: In den Medien wird immer wieder der Tenor vermittelt, dass keiner gern vom Sofa aufsteht und die eigenen vier Wände verlässt. Das ist falsch, wenn Alternativen geboten werden.
Wie bemühen uns Tag für Tag, so eine Alternative zu sein – und wir sind es auch. Wir bieten zu einem fairen Preis eine gute Leistung an – etwas, wo man sich nicht, wie beispielsweise bei der
Oper, stundenlang in die Materie einarbeiten muss. Varieté versteht jeder, der eine findet das gut, der andere das. Wir bieten etwas anderes als Miesmacherei. Dafür hätten wir doch eigentlich den
Grammy-Award verdient, oder?
Den gibt es dann ja vielleicht zum 20-jährigen Bestehen im Jahr 2017. Dann gibt es das Apollo doch noch – oder?
Kirkness: Ja klar – aber dann ohne mich.
Was wünschen Sie sich für die Varieté-Zukunft?
Kirkness: Ich würde mir wünschen, dass mehr Varieté im Fernsehen gezeigt wird – kein komplettes Programm, aber einzelne Nummern, vielleicht in Verbindung mit Prominenten. In Großbritannien
und Belgien beispielsweise gibt es solche Shows, die den Bekanntheitsgrad des Varietés erhöhen. Jeder kennt den Circus, aber in Deutschland können viele Menschen mit dem Begriff Varieté gar
nichts anfangen.
Ist Ihr Beruf eigentlich mit dem eines Circusdirektors vergleichbar, Herr Kirkness?
Kirkness: Nein, eigentlich nicht. Ein Circusdirektor, wie beispielsweise Bernhard Paul, hat 1000 Aufgaben, die ich nicht habe. Ich muss nicht planen, wo ich nächsten Monat spiele, muss
nicht in Erfahrung bringen, was der Platz kostet. Dafür muss ich es schaffen, die Leute immer wieder in unser Haus zu bekommen – nicht nur die Düsseldorfer, sondern auch die Menschen aus den
Nachbarstädten. Aber weil Varieté ein Nischenprodukt ist, ist die Vermarktung auch nicht so einfach.
Was sind denn die wichtigsten Eigenschaften, die ein Theaterleiter haben muss?
Kirkness: Man muss vor allem verständnisvoll sein. Dann ist noch wichtig, dass man im Kopf
eine klare Linie hat und es schafft, diese zu vermitteln. Und dann muss man 150 Mitarbeiter so motivieren, dass sie sehen, dass es nur in eine Richtung geht.
Das Interview für Duesseldorf-Magazin.info führte Philipp Nieländer
Link zum Original-Text: duesseldorf-magazin.info/interview_kirkness.html