Kreis Lippe/Schloß Holte-Stukenbrock. Als sich am 17. Juli 1969 zum ersten Mal die Tore des Safariparks in Stukenbrock öffneten, erfüllte sich der Traum der Familie Wurms. Mitten in der Senne tummelten sich plötzlich Löwen, Tiger und andere Wilde Tiere.
Was vor rund 32 Jahren noch ganz klein startete, zieht heute Besucher aus allen Himmelsrichtungen an. 1999 waren es mehr als 650.000, viele davon aus dem benachbarten Lippe. Über 600 Tiere teilen sich das inzwischen rund 65 Hektar (das entspricht etwa 90 Fußballfeldern) große Parkgelände mit 24 Großfahrgeschäften und zahlreichen weiteren Attraktionen.
Aber was passiert, wenn plötzlich ein Fahrgeschäft seinen Geist aufgibt oder bei den Raubtieren etwas nicht stimmt? Dann sind Henry Geibel und Inka Schumacher zur Stelle.
Im Löwenhaus herrscht Ruhe - noch. Sekunden später ist es damit erst einmal vorbei. Löwenmännchen Tran meldet sich lautstark zu Wort. Das 300 Kilogramm schwere Kraftpaket möchte an die frische Luft. Und das sofort. "Altes Ekel", ruft plötzlich eine junge zierliche Frau mit fester Stimme. Inka Schumacher ist Cheftierpflegerin in Stukenbrock, verantwortlich Löwen und Tiger. Schnell wird klar, dass sie das "Ekel" nicht ernst gemeint hat und dass sie "ihrem" Tran eigentlich nicht böse sein kann. Das weiß der weiße Löwe wohl auch, schreitet majestätisch zum Gitter, schnuppert kurz und lässt sich dann erst einmal ausgiebig streicheln.
Inka Schumacher ist die einzige Frau, die in seinem Rudel etwas zu sagen hat. "Ich lebe für die Tiere", so die 26 Jahre alte Cheftierpflegerin. Geregelte Arbeitszeiten? Fehlanzeige! "In dem Job kann man nicht auf die Uhr schauen. Wenn die Tiere mich brauchen, dann bin ich da." Wie eine Mutter stolz auf ihre Kinder ist, ist Inka Schumacher stolz auf ihre seltenen Schützlinge, die ursprünglich keine bewusste Züchtung, sondern eine Laune der Natur sind. Vor 13 Jahren entdeckte ein Wildhüter im Reservat Timbavati plötzlich schneeweiße Löwen. Eine Sensation, aber auch ein großes Problem. Denn in freier Wildbahn hätten die Tiere aufgrund ihrer hellen Fellfarbe kaum Überlebenschancen gehabt.
Darum hat der Safaripark 1996 ein arterhaltendes Zuchtprogramm ins Leben gerufen - mit beachtlichen Erfolgen. Nach Sunshine und Topas (Ende 1997) kam 1998 der "kleine weiße Blitz" Flash zur Welt. Ein Jahr später wurden die Drillinge Sun, Moon und Star geboren - und das Einzelkind Topas. Am 22. Dezember 1999, zwei Tage vor Heiligabend, erblickte Blanche das Licht der Welt und hielt Inka Schukmacher auf Trab. Denn der 750 Gramm leichte Nachwuchswurde von den Eltern nicht akzeptiert. "Ich habe sie dann aufgezogen, ihr alle zwei Stunden Milch eingeflößt, habe ihr den Bauch gerieben, mit ihr gespielt und geschmust", erinnert sich die "Ersatz-Mami". Dann kam die schwere Zeit des Loslassens, auf beiden Seiten. Aber Inka Schumacher weiß: "Es muss sein. Sie ist ein Raubtier, kein Mensch."
Dieses Problem hat Henry Geibel nicht. Seine Karussells bleiben ihm in der Regel viele Jahre treu. Als technischer Betriebsleiter des Parks ist der 48-Jährige dafür zuständig, dass sich alle Fahrgeschäfte ordnungsgemäß drehen oder vom Boden abheben. Wie oft er am Tag über sein Handfunkgerät gerufen wird, das kann er schon nicht mehr zählen. "Mal ist es eine fehlende Schraube, mal eine quietschende Tür", erzählt der Technikchef, der von 25 Mitarbeitern unterstützt wird. Hektik kommt auf, wenn ein Fahrgeschäft mitten im Hochbetrieb streikt oder komische Geräusche von sich gibt. Dann ist Henry Geibel mit seinem Werkstattwagen innerhalb kürzester Zeit vor Ort. Die Sicherheit der Besucher steht auf der Prioritätenliste ganz oben: "Bevor wir ein Risiko eingehen, wird geschlossen und der Sache auf den Grund gegangen." Ersatzteile sind für alle Fahrgeschäfte vorrätig, allerdings ist es oft nicht einfach, den Fehler zu finden. Ordnung ist dabei das halbe Leben. Für jedes Karussell gibt es einen Plan, in dem jedes noch so kleine Teil eingezeichnet ist. Allerdings umfassen manche Pläne mehr als 500 Seiten. Geibel hat darum eine Datenbank angelegt, in der alle Probleme, die schon einmal aufgetreten sind, zusammen mit den jeweiligen Lösungen eingetragen werden.
Wenn die Besucher abends mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause gehen, freut sich auch Henry Geibel. "Wir arbeiten im Prinzip doch alle dafür, dass alles reibungslos läuft", sagt der 48-Jährige. Weil das Technik-Team so viel Zeit in Wartungsarbeiten steckt, kommt es nicht häufig vor, dass ein Fahrgeschäft im laufenden Betrieb stillgelegt werden muss. Wenn das doch einmal vorkommt, ist es dem Betriebsleiter fast schon peinlich. "Ich habe dann immer das Gefühl, dass mich alle Besucher ganz böse anschauen."
Neben der täglichen Routine gibt es natürlich auch Ereignisse, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert. Einmal musste die Achterbahn die letzten Meter geschoben werden, weil die Bremsen blockierten. "Aber das Dollste, was wir je erlebt haben, war bei der Einweihung der Wildwasserbahn", so Geibel. "Die Boote schwankten und kippten - zum Glück nur auf ebener Strecke. Die Fahrgäste sind pitschnass geworden. Und obwohl man das aus der Warteschlange gesehen hat, wollten alle mitfahren", erinnert sich der Technikchef noch gut. Das Problem beschäftigte die Techniker-Crew dann bis in die Nacht. "Unsere Artisten mussten Probe fahren. War gar nicht so einfach, sie dazu zu bewegen. Schließlich haben sie es doch gemacht - allerdings in Badehosen."
Aber noch einmal zurück zu den weißen Löwen - genauer gesagt zum Nachwuchs. Der ist nämlich vor wenigen Tagen zu Hause ausgezogen. Allerdings nur ein paar Meter weiter in eine große neue Safarilandschaft. Neben einem Waldstück und einer großzügig bemessenen Steppenlandschaft finden sie dort auch ein verlassenes Safaricamp, wo sie nach Herzenslust spielen können. Die Parkbesucher können den Nachwuchs auus dem Fahrzeug heraus beobachten.
In Henry Geibels Leben dreht sich alles um Karussells. Kein Wunder: Er ist in einer Schaustellerfamilie groß geworden. Zwischenzeitlich hat er eine Ausbildung zum Schlosser absolviert. Ein Job in einer Fabrikhalle kam für den heute 48-Jährigen aber nie in Frage. Nach dem Tod seines Vaters zog er mit einem Kinderfahrgeschäft und einem Kettenkarussell zwei Sommer lang über Jahrmärkte. Er erkannte aber schnell, dass traditionelle Attraktionen immer weniger Fahrgäste anziehen. Geibel entschied sich, keine Unsummen in neue Fahrgeschäfte zu investieren, sondern "sesshaft" zu werden. Er arbeitete zunächst in einem Freizeitpark in den Niederlanden und erhielt vor 16 Jahren ein Angebot aus dem Hollywood- und Safaripark.
Die beliebte Marienkäferbahn war die erste Attraktion, die er an seiner neuen Wirkungsstätte wartete. Vor elf Jahren wurde er zum technischen Betriebsleiter befördert. Inzwischen ist auch Henry Geibels Frau Hannelore, die an der Fotoausgabe der Wildwasserbahn "Kongo River" arbeitet, in Ostwestfalen-Lippe heimisch geworden.
Inka Schumacher hat früh entdeckt, dass sie Tiere eigentlich viel lieber mag als Menschen. Das hat auch ihre Grundschullehrerin bemerkt und einen entsprechenden Satz ins allererste Zeugnis geschrieben. Nach der Schule verwirklichte Inka Schumacher ihren Traum und machte eine Ausbildung zur Tierpflegerin im Osnabrücker Zoo. 1996 wechselte sie in den Safaripark Stukenbrock, wo gerade jemand gesucht wurde, der mit den Raubtieren arbeitet. "Ich habe es einfach probiert und gesehen, dass ich keine Angst habe", erinnert sich die 26-Jährige. Angst nicht. Respekt schon. Denn immerhin ist ein ausgewachsener Löwe fast 200 Kilo schwerer als sie selbst.
Morgens ist sie die erste im Löwen- und Tigerhaus, abends die letzte. Ihre Wohnung im Ort hat sie mittlerweile aufgegeben und ist in den Park gezogen. So ist sie schneller zur Stelle, wenn es ein Problem gibt. Drei Raubtier-Babys hat Inka Schumacher inzwischen von Hand aufgezogen. Zeit für Hobbys bleibt da nicht. Wann sie das letzte Mal in der Disco war - daran kann sie sich gar nicht mehr erinnern. Faszinierende Fotos von Tigern und Löwen schmücken die Wände in ihrem Appartement und neben dem Fernseher stehen zahlreiche Tiervideos - Naturaufnahmen aus dem Dschungel Indiens und der Steppe Afrikas.