Familie und Beruf – hier geht das!

Titelthema punkt.RBW 01/2016

„Juhuuu, ich habe den Job!“, freut sich Miriam und fällt ihrem Freund Max, mit dem sie seit einem halben Jahr zusammen ist, um den Hals. Nach ihrem Informatikstudium hat die Bergisch Gladbacherin ihren ersten festen Job bei einem großen Softwareentwickler ergattert. „Die Arbeitszeiten sind zwar heftig, aber dafür gibt es richtig gut Geld“, sagt die 22-Jährige. „Dann können wir uns 2008 ja endlich mal ‘nen schönen Urlaub gönnen“, freut sich Max. Bisher ging das nicht wirklich. Denn bei seiner Ausbildung als Fachlagerist bei einem Logistikkonzern verdient der 21-jährige Wermelskirchener, der zuvor eine andere Ausbildung abgebrochen hatte, gerade einmal 700 Euro. „Also alles super!“ Max und Miriam gibt es nicht wirklich. Wäre die junge „Familie Mustermann“ real, könnte sie aber von den Angeboten profitieren, die familienfreundliche Dienstleister und Arbeitgeber im Rheinisch-Bergischen Kreis tatsächlich anbieten.

Wenn Miriam, mittlerweile mit Max verheiratet, heute an diese Zeit zurückdenkt, kann sie darüber lächeln. Mit Anfang 20 waren die Prioritäten noch ganz anders gesetzt: Als Berufsanfängerin einen guten Verdienst zu haben, war das Wichtigste, dass die Arbeitsbedingungen alles andere als familienfreundlich waren – geschenkt! Oft bis in die Nacht im Büro zu sitzen, weil etwas ganz dringend fertig werden musste – ganz normal. Zu der Zeit waren Kinder für die Mustermanns auch noch kein Thema … Jetzt aber ist Miriam Mustermann schwanger und froh, seit ein paar Jahren bei der Netempire AG in Rösrath zu arbeiten. Dort steht das Thema Familienfreundlichkeit ganz oben auf der Agenda. Auch bei der Soennecken eG in Overath, wo Max seit vier Jahren Büromaterial kommissioniert und auf die Reise durch ganz Deutschland schickt, legt man großen Wert auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Mit den Arbeitgebern ganz offen über die Familienplanung reden zu können, war für beide eine Erleichterung. Das Paar hat sich früh dafür entschieden, dass Max nach der Geburt seiner Tochter ein Jahr Elternzeit nimmt, während Miriam schnell ins Büro zurückkehren will.

 

Andreas Nettesheim, Vorstand der Netempire AG, ist selbst Vater von zwei Kindern und bester Beweis dafür, dass man Karriere und Kinder gut miteinander verbinden kann. Schon in den Stellenausschreibungen wirbt das Unternehmen mit einem „modernen und nachhaltig gestalteten Arbeitsumfeld“ sowie „flachen Hierarchien und flexiblen Arbeitszeiten“. Miriam Mustermann hat schon am ersten Arbeitstag die Unterschiede zu ihrem alten Arbeitgeber deutlich gespürt: Es gibt einen Fitnessraum, täglich frisch zubereitetes Essen und flexible Arbeitszeiten. Der perfekte Rahmen für die Frontend-Entwicklerin, um ausgeglichen zu arbeiten. Im Sommer 2014 hat Netempire dann auch noch die schon länger gehegte Idee einer betrieblichen Kinderbetreuung realisiert. Rund 180.000 Euro wurden in die Räume investiert, die laufende Unterdeckung liegt bei ca. 15.000 Euro pro Jahr. Gut investiertes Geld, findet Nettesheim: „Wir stehen für Nachhaltigkeit. Und Kinder sind das Nachhaltigste, was es gibt.“ Neun Kinder zwischen ein und vier Jahren, davon etwa die Hälfte externe, haben seitdem bei den „Staader Strolchen“ auf dem Firmengelände einen Platz. Miriam Mustermann kann vom Fenster ihres Büros aus sehen, wie zwei zertifizierte Tagesmütter die kleinen Strolche zuverlässig und liebevoll betreuen. In Zukunft wird auch ihre Tochter auf dem Gelände spielen und toben … Und wohl auch mal an Mamas Schreibtisch stehen. „Das ist aber auch kein Problem“, sagt Andreas Nettesheim. „Die Kinder sollen ihren Eltern ruhig bei der Arbeit zuschauen. Dann verbinden sie etwas Positives damit.“

 

Homeoffice und Teilzeit

 

 

Die Mustermanns hatten den absoluten Luxus, auswählen zu können: Denn auch die Soennecken eG, wo Max arbeitet, bietet eine eigene Kinderbetreuung an. Auf dem Firmengelände in Overath gibt es seit der Eröffnung im Frühjahr 2015 für die „Agger-Piraten“ ein liebevoll eingerichtetes Kinderparadies mit Spielraum, Kreativraum, Schlafzimmer, Waschräumen und einer voll ausgestatteten Küche. Neuerdings kann der Nachwuchs auch auf einem Spielplatz an der frischen Luft toben. Aktuell werden neun Kinder betreut, eine Erweiterung ist geplant. Soennecken bezuschusst die Beiträge seiner Mitarbeiter für die Kinderbetreuung bis zu 200 Euro pro Monat. „Die Eröffnung der Kindertagespflege ist für Soennecken ein weiterer Baustein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Elke Nentwich, stellvertretende Leiterin Personalmanagement. Die in der Verwaltung beschäftigten Mitarbeiter haben zum Teil die Möglichkeit, einen Tag pro Woche im Homeoffice oder aber in Teilzeit zu arbeiten. „Die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten beträgt bei Soennecken in der Verwaltung 21 Prozent“, sagt Elke Nentwich. „Hätten wir unsere Teilzeitmütter nicht, würde dieses Unternehmen zusammenbrechen“, hat es Dr. Benedikt Erdmann, Vorstandssprecher der Soennecken eG, vor einiger Zeit in einem Interview klar gesagt.


Nachdem es vor einigen Jahren schon Bestrebungen gab, die dann aber aufgrund der damaligen rechtlichen Rahmenbedingungen zurückgestellt wurden, sei der Wunsch nach einer verlässlichen und zugleich flexiblen Kinderbetreuung auch in jüngster Vergangenheit mehrfach geäußert worden. Daraufhin sei die Genossenschaft aktiv geworden.

Auch in Bergisch Gladbach hat sich ein Unternehmen als Vorreiter in Sachen Kinderbetreuung positioniert: Die „MiniMäx“ bei Miltenyi Biotech war die erste betriebsnahe Kita im Kreis. Sie wurde bis 2003 als Kindergruppe von zwei Tagesmüttern geführt und dann von der damals frisch gegründeten Kölner Firma educare übernommen. In zwei Gruppen stehen 20 Plätze für Kinder von Mitarbeitern und zehn Plätze für Externe zur Verfügung. Genaue Zahlen, was die Betreuung das Unternehmen kostet, möchte Unternehmenssprecher Uwe Heinlein nicht nennen. Es zahle sich aber aus, weil es die Firmenbindung fördere und man auf Mitarbeiter mit viel Know-how angewiesen sei. Heinlein: „Unsere Denkweise ist: Alles, was unseren Mitarbeitern den Alltag erleichtert, kommt auch dem Unternehmen wieder zugute.“

Gerade in Zeiten, in denen es für Unternehmen schwer ist, Fachkräfte zu finden und langfristig zu binden, können Unternehmen mit einem solchen Angebot punkten.

 

Betreuung ist für junge Eltern aber nicht nur während der Arbeit, sondern auch in der Freizeit ein Thema. Das hat die Linzenich Fitnessgruppe OHG mit ihren Family Fitness Clubs  erkannt – und dem Rechnung getragen: Im Club an der Richard-Zanders-Straße in Bergisch Gladbach wird an drei Tagen pro Woche eine professionelle Kinderbetreuung angeboten, die natürlich auch von Kindern der Mitarbeiter genutzt werden kann.

 

Pflege von Angehörigen

 

Dass das Thema Familienfreundlichkeit viele Facetten haben kann, mussten die Mustermanns im engsten Familienumfeld erleben: Oma Mustermann hatte einen Schlaganfall! Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt und einer Reha wollte Max‘ Oma dennoch unbedingt wieder nach Hause. Ein Platz im Heim kam für die rüstige alte Dame nicht infrage. Vater Joachim Mustermann, Zerspanungsmechaniker bei der Wermelskirchener STEINCO Paul vom Stein GmbH, einem Hersteller von Präzi-sionsdrehteilen, Rollen, Rädern und Schnellverschlusskupplungen, erinnerte sich zum Glück an die Kooperationsvereinbarung seines Arbeitgebers mit der Diakoniestation Wermelskirchen. Der Kooperationsvertrag aus dem Jahr 2012 be-inhaltet zum einen eine Beratungsbetreuung der Firma durch eine geschulte Pflegeberaterin von der Diakoniestation. Aber auch Mitarbeiter der Personalabteilung sowie zwei weitere Vertrauenspersonen im Betrieb sind Ansprechpartner, kennen die verschiedenen Entlastungs- und Hilfsmöglichkeiten und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung.

 

Entsprechend dem Leitsatz der Personalarbeit „Das größte Kapital eines Unternehmens für eine künftige Wettbewerbsfähigkeit sind motivierte und qualifizierte Menschen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz“ unterstützt STEINCO seine Mitarbeiter auch in schwierigen Lebens-lagen. Mitarbeiter, die zu Hause einen Angehörigen zu pflegen haben, seien ohne Unterstützung und Hilfe von außen den Anforderungen des heutigen Berufslebens nur schlecht gewachsen, so das Unternehmen. Diakonie-Geschäftsführer Peter Siebel pflichtet ihm bei: „Wenn ein junger Vater unausgeschlafen zur Arbeit kommt, dann haben die Kollegen Verständnis. Wenn aber ein pflegender Angehöriger müde ist, dann schämt er sich, das im Betrieb zu sagen.“

 

Nach einem Gespräch mit dem Personalchef konnte Mustermann Senior spontan Urlaub nehmen, um in der ersten Zeit nach der Reha seiner Mutter den ganzen Tag zu Hause zu sein, bis sich alles eingespielt hat. Diese Möglichkeit ist bei STEINCO sogar in einer Betriebsvereinbarung festgeschrieben. In Absprache mit der Diakoniestation, die einen Großteil der Pflege von Oma Mustermann in den heimischen Wänden übernimmt, hat Joachim Mustermann seine Arbeitszeit bei STEINCO etwas reduziert und angepasst, sodass er zu bestimmten Zeiten für seine Mutter da sein kann.

 

Fünf Monate später im Leben der Mustermanns: Der Nachwuchs ist mittlerweile acht Wochen alt, die junge Mutter arbeitet bereits wieder – teilweise von zu Hause aus und der junge Vater Max übernimmt in seiner Elternzeit das Windelwechseln. Auch der Wiedereinstieg in den Job ist bereits mit dem Arbeitgeber geklärt: Zunächst in Teilzeit am Nachmittag bleibt für die Familie genug Zeit, die neue Lebenssituation zu genießen. Zu perfekt, das Szenario, meinen Sie? Tatsächlich: Selbstverständlich ist das noch nicht überall. Aber es ist möglich – hier im Rheinisch-Bergischen Kreis! Philipp Nieländer

„Wir sind schon gut aufgestellt!“

Der Kreistag hat bei seiner Sitzung im Dezember 2015 beschlossen, das Projekt „Familienfreundlicher Kreis“ mit verschiedenen Maßnahmen in den Strategieprozess RBK 2020plus zu integrieren. Zu diesem Thema sprachen wir mit Landrat Dr. Hermann-Josef Tebroke und dem zuständigen Dezernenten Markus Fischer.

Wenn ein Projekt „Familienfreundlicher Kreis“ auf den Weg gebracht wird, stellt sich die Frage: Ist der Rheinisch-Bergische Kreis bisher etwa nicht familienfreundlich? 

Dr. Tebroke: Doch, das ist er! Wir sind schon gut aufgestellt. Aber natürlich möchten wir noch besser werden. Eines unserer Ziele ist es, die Stärken der Kommunen und deren Angebote zusammenzuführen und gebündelt intensiver zu kommunizieren. Dadurch sollen sie für Familien leichter zugänglich werden.

 

Warum ist das wichtig? Wenn ich mich informieren möchte, finde ich auf den Internetseiten der Kommunen doch alle Angebote, oder? 

Fischer: Das ist grundsätzlich richtig. Aber die Bürger denken nicht in den kommunalen Grenzen. Zwei Beispiele: Wer in Witzhelden wohnt, ist schneller in der Burscheider Innenstadt als im Leichlinger Zentrum. Wer auf der Stadtgrenze zwischen Rösrath und Overath wohnt, kann in vielen Bereichen die Angebote beider Städte nutzen.

Dr. Tebroke: Wichtig ist ein Überblick über das Angebot im Kreis auch für alle, die planen, in die Region zu ziehen. Meist ist man in solch einer Situation nicht auf eine Stadt festgelegt, sondern auf eine Region. Wenn wir eine kreisweite Plattform schaffen, können wir die jeweiligen Vorzüge der einzelnen Kommunen herausstellen. Interessierte können sich leichter informieren und kommen schneller ans Ziel, da sie für einen ersten Überblick nicht mehr auf den Internetseiten von acht Kommunen suchen müssen, sondern alle Informationen gebündelt erhalten. Für alle, die dann mehr erfahren möchten oder die Informationen nicht über das Internet einholen wollen, wäre eine zentrale Anlaufstelle für Familien in den Kommunen und im Kreishaus sinnvoll.

 

Was sind denn eigentlich die Vorzüge, die der Rheinisch-Bergische Kreis Familien bieten kann? 

Fischer: Es gibt heutzutage ja nicht mehr „die klassische Familie“, sondern unterschiedlichste Konstellationen. Und so unterschiedlich sind dann auch die Bedürfnisse. Ein Paar, das keine Kinder hat und auch keine möchte, dem ist das gute Kita- und Schulangebot verständlicherweise recht egal. Aber vielleicht spielt da das Thema Pflege, was natürlich auch zum Komplex Familienfreundlichkeit zählt, eine Rolle. Generell kann der Rheinisch-Bergische Kreis mit familienfreundlichen Arbeitgebern bzw. einer insgesamt innovativen Wirtschaft, einem großen Freizeitwert und einem hohen Sicherheitsfaktor überzeugen. Bei Familien mit Kindern können wir im Kreis beispielsweise mit einer hervorragenden Kinderbetreuung, den Frühen Hilfen und der sehr guten Bildungsinfrastruktur punkten.

 

Bei diesen Themen sind der Kreis und/oder die Kommunen federführend. Es gibt aber noch viele andere Akteure, die dazu beitragen, dass eine Region familienfreundlich ist, oder? 

Dr. Tebroke: Ja. Und das geht nur zusammen: Unternehmen, Vereine, Träger von Seniorenwohneinrichtungen, Kitas und natürlich die kommunalen Wirtschaftsförderungen sowie die RBW, die verlässlicher Ansprechpartner für Unternehmen ist und verschiedene Veranstaltungen zu dem Thema organisiert.  Damit sich die verschiedenen Akteure noch intensiver vernetzen können, würden wir gerne ein Lokales Bündnis für Familie gründen. Hier gibt es eine entsprechende Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

 

Apropos Unternehmen: Der Rheinisch-Bergische Kreis ist ja nicht „nur“ Behörde, sondern mit rund 850 Mitarbeitern auch einer der großen Arbeitgeber. Wie familienfreundlich ist denn die Kreisverwaltung? 

Dr. Tebroke: Ich bin der Meinung, die Kreisverwaltung ist familienfreundlich. Natürlich gilt auch hier das Prinzip: Es gibt nichts, was man nicht besser machen kann. Und nicht nur aus Sicht der Kreisverwaltung, sondern auch aus der der Unternehmen wird ein familienfreundliches Arbeitsumfeld immer wichtiger. Dieses trägt zur Attraktivität des Arbeitgebers sowie zur Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter entscheidend bei. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat einen besonderen Stellenwert in unserer gesellschaftlichen Entwicklung bekommen. Schon jetzt bietet die Kreisverwaltung beispielsweise flexible Arbeitszeitmodelle an, die sich an den jeweils aktuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter orientieren. Natürlich muss man immer schauen, wie sich das konkret realisieren lässt: Wenn plötzlich alle Mitarbeiter einer Abteilung nur noch nachmittags arbeiten wollen, dann können wir ja nicht die Bürger vormittags vor verschlossenen Türen stehen lassen. Uns als Verwaltungsführung ist es wichtig, immer wieder neue Impulse zu geben, um unsere Familienfreundlichkeit zu verbessern. Das geht nicht in Form von Dienstanweisungen: Im Dialog mit den Mitarbeitern wollen wir gemeinsam das Thema vorantreiben.

 

Es soll in Zukunft ein Eltern-Kind-Büro im Kreishaus geben. Was verbirgt sich dahinter? 

Fischer: Im Zuge der Kreishauserweiterung ist die Einrichtung eines Büros geplant, das die Möglichkeit bietet, in Notsituationen– beispielsweise wenn die Tagesmutter krank oder der Kindergarten kurzfristig geschlossen ist – sein Kind mit zur Arbeit zu bringen. Der Nachwuchs kann spielen, während die Mutter oder der Vater der Arbeit nachgeht.

 

Also lautet das Fazit: Kreis und Kreisverwaltung sind familienfreundlich …

Dr. Tebroke: … und wollen noch familienfreundlicher werden. Wir möchten uns nicht mit einem Status quo zufriedengeben, sondern uns anhand der konkreten Bedürfnisse der Menschen weiterentwickeln.