„Krisen können auch eine Sternstunde für Unternehmer sein“

Interview mit Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Werner Abelshauser, punkt.RBW 01/2011

Weltweite Wirtschaftskrisen sind keine neue Erscheinung. Im punkt.RBW-Interview ordnet Prof. Dr. Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld, das aktuelle Geschehen ein. Er stellt einige Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede fest, wenn er es mit den großen Krisen der Vergangenheit vergleicht. Abelshauser blickt aber nicht nur zurück, sondern auch nach vorne – verhalten optimistisch.

Herr Prof. Dr. Abelshauser, ist die Wirtschaftskrise, die vor allem 2009 Deutschland „regiert“ hat, überwunden – oder sind wir nur in einer kurzen Phase des Durchatmens?
Abelshauser: Das ist ja gleich am Anfang die Millionenfrage. Meine Antwort ist: Es lässt sich nicht vorhersagen. Die historische Erfahrung hilft uns aber bei der Analyse, ob aktuelle Szenarien – Bankenkrise, Währungsprotektionismus, Krise des Euroraumes – die reale Gefahr eines erneuten Absturzes in sich bergen. Und das würde ich mit einem klaren „Ja“ beantworten.


Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Die Zerbrechlichkeit des Euroraumes wird immer deutlicher und stellt die Politik vor nahezu unlösbare Probleme. Vor allem aber: Die derzeitige Weltkonjunktur beruht auf staatlichen Programmen.Da die privaten Investoren es vorgezogen haben, Kasse zu halten, hat der Staat die Rolle des Investors übernommen. Entscheidend wird sein, wie sich die Situation entwickelt, wenn die Wirkung der weltweiten Konjunkturprogramme nachlässt. Die Frage ist: Werden die Investoren dann wieder investieren? Und wenn nicht: Haben die Staaten dann noch den Mut, sich weiter zu verschulden?

Kann eine Wirtschaftskrise auch eine Chance sein?
Die Erfahrung lehrt, dass Krisen immer zur Sternstunde für Unternehmer werden, die in der Lage sind, auch bei Unsicherheit richtige Entscheidungen zu treffen. Während Manager in Krisenzeiten zum Kostensparen neigen und sich in der Talsohle einrichten, weil es in ihren Augen der bequemere und sicherere Weg ist, wird ein Unternehmer alle Chancen ausloten, um gerade jetzt zu investieren. Schließlich ist in einer Krise alles relativ billig zu haben.

Wie würden Sie die aktuelle Krise einordnen? Gibt es Ähnlichkeiten mit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 einsetzte, oder der Großen Depression ab 1873?
Wenn man nur die Erscheinungsform betrachtet, also das Vorhandensein und die Abfolge bestimmter Szenarien, gibt es schon viele Gemeinsamkeiten: scheiternde Spekulationen, ein Crash, dem eine Bankenkrise folgt, die wiederum viel immaterielles Kapital – also Vertrauen – vernichtet. Der gravierende Unterschied zu vielen Krisen in der Vergangenheit liegt jedoch bisher darin, dass die politischen Akteure richtig reagiert haben. Sie haben kooperiert und sich nicht gegenseitig blockiert.

Was ist denn in der Beziehung „typisch deutsch“?
Das deutsche Finanzsystem lief lange Zeit so, dass Unternehmen darauf vertrauen konnten, langfristig Kredit zu haben – getreu dem Motto: Qualitätsarbeit braucht eine langfristige unternehmerische Perspektive. Auf der anderen Seite stehen aber Länder wie die USA, Großbritannien oder Irland, die den Übergang in die nachindustrielle Produktion nicht vollzogen haben, sondern vor allem vom Handel mit Finanzprodukten leben. Der aber liebt die kurzfristige Perspektive und bestimmt die Regeln des Kapitalmarktes. Durch die aktuelle Krise sind am besten die kleineren und mittleren Unternehmen gekommen, die nicht vom Kapitalmarkt abhängen, sondern mit regionalen Banken und Sparkassen zusammenarbeiten.

Prof. Dr. Werner Abelshauser promovierte 1973 an der Ruhr-Universität Bochum über „Wirtschaft in Westdeutschland 1945–1948“. Nach der Habilitation (1980) lehrte er als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bochum, wo er von 1983 bis 1988 auch geschäftsführender Direktor des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung (IGA) war. Von 1989 bis 1991 hatte er am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz den Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts inne. Seit 1991 leitet er den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld.