Social Media - Chancen. Nutzen. Und Risiken?

Titelthema punkt.RBW 02/2012

Elf Prozent der Weltbevölkerung verfügen über einen Facebook-Account, davon sind 50 Prozent täglich auf Facebook aktiv. Damit hat das soziale Netzwerk Google als meistbesuchte Internetseite abgelöst. Twitter hat 225 Millionen User weltweit, die 150 Millionen Tweets pro Tag abschicken. Der Rekord liegt bei 8.900 versendeten Tweets pro Sekunde. Pro Sekunde melden sich zwei neue Nutzer bei LinkedIn an, um Informationen, Ideen, Karriere- und Geschäftschancen auszutauschen. YouTube hat 92.000.000.000 Seitenaufrufe – pro Monat. Diese Zahlen beweisen: Social-Media-Dienste, die vor zehn Jahren in Deutschland noch kaum jemand genutzt hat, boomen.

Der renommierte Web-Dienstleister Ethority hat ein Prisma mit den wichtigsten deutschsprachigen Angeboten erstellt. Mittlerweile gibt es die Version 3.0 mit fast 200 verschiedenen Plattformen. Und auch immer mehr Firmen – laut verschiedenen Umfragen rund zwei Drittel – sehen die Chancen, die soziale Medien bieten und facebooken, twittern, bloggen oder xingen, laden Filme bei YouTube hoch oder sind in Foren aktiv. Andere Unternehmer hingegen denken bei Social Media zunächst an die Risiken und beschränken sich lieber auf klassische Kommunikationswege. Für wen lohnen sich Social-Media-Aktivitäten besonders, was ist zu beachten, wenn man nicht als Privatperson, sondern als Unternehmer in sozialen Netzwerken angemeldet ist? Wie gehe ich mit Kritik an meinen Dienstleistungen oder Produkten um? Die punkt.RBW-Redaktion hat mit rheinisch-bergischen Unternehmern und Social-Media-Experten gesprochen, um – anhand verschiedener Thesen – Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden.

 

These 1 | Unternehmer können durch soziale Medien andere Zielgruppen als auf klassischen Wegen erreichen und so neue Kunden gewinnen.

„Mit Hilfe von Social Media lassen sich neue Zielgruppen erreichen“, ist Prof. Dr. Michael Bernecker, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Marketing, überzeugt. Eine Einschätzung, die auch Stefan Rabe vom Haupt- und Personalamt der Stadt Wermelskirchen teilt. Er ist neben der Homepage-Betreuung auch für den im Juli 2010 eingerichteten Twitter-Account (93 Follower und derzeit rund 320 Tweets) und den Facebook-Auftritt, den es seit April 2011 gibt (930 Fans), zuständig. Rabe findet es positiv, dass gerade Jugendliche in Kontakt mit der Stadtverwaltung treten und so auf die städtische Homepage aufmerksam gemacht werden.

 

Positive Erfahrungen hat auch Alexander Voßler, Geschäftsführer der Bar Quirl’s in Bergisch Gladbach gemacht, der bis vor einiger Zeit lediglich eine „Minihomepage“ mit hinterlegter Adresse hatte. „Simon Hilke von der Bergisch Gladbacher Profilschmiede konnte mich dann davon überzeugen, dass es mit Facebook ein enormes Potenzial – gerade im Jugendbereich – gibt. Wir haben uns dann entschieden, unsere Homepage direkt auf Facebook aufzubauen.“ Wer heute auf www.quirls.de klickt, sieht mit Hilfe sogenannter Plug-ins die bei Facebook geposteten Eventinformationen – ohne selbst Mitglied des Netzwerks sein zu müssen. Die mittlerweile mehr als 850 Facebook-Fans bekommen diese Meldungen zusätzlich als News auf ihrer Startseite angezeigt. „Diese Menge hätten wir auf anderen Wegen nicht so einfach und kostengünstig erreicht und aktuell informieren können“, sagt Voßler.

Auch Printmedien nutzen mittlerweile soziale Medien, um mehr Leser zu erreichen und Geschichten zu verbreiten. So auch der Bergische Volksbote, der in Burscheid erscheint. Redakteur Ekkehard Rüger berichtet: „Analysen zeigen, dass mitunter schon mehr Zugriffe auf die Artikel über Facebook-Verlinkungen erfolgen als über den Internetauftritt direkt.“

Andrea Götze, stellvertretende Geschäftsführerin des Mediterana in Bergisch Gladbach, schätzt an sozialen Netzwerken die Möglichkeit, „ohne Streuverluste eine regionale sauna- und wellnessaffine Zielgruppe zu erreichen und mit Informationen versorgen zu können“. Das sei bei Anzeigen in Tageszeitungen und Magazinen so nicht möglich. Und auch Katja Fauth, Director Sales & Marketing der Althoff Hotel & Gourmet Collection (Grandhotel Schloss Bensberg und Schlosshotel Lerbach haben zusammen knapp 4.000 Facebook-Fans), sagt: „Über Facebook erreichen wir eine jüngere Zielgruppe aus dem Leisure-Bereich und in Ergänzung dazu nutzen wir Twitter als weiter reichenden Informationskanal.

Darüber, dass sich mit Hilfe von Social Media andere Zielgruppen erreichen lassen, besteht also weitgehend Einigkeit. Bei der Frage, ob aus Fans und Followern auch Kunden werden, gehen die Meinungen allerdings recht weit auseinander. Für David Fernandez, Chefredakteur von Radio Berg, zählt nicht die Zahl der „Gefällt mir“-Klicks bei Facebook (rund 1.500), sondern die Zahl der Hörer, die den lokalen Sender einschalten (rund 134.000 an einem durchschnittlichen Werktag). Fernandez: „Es ist nicht bewiesen, dass die Zahl der Freunde Einfluss auf die Einschaltquote und somit auf die Radiowerbung, von der wir leben, hat. Für mich sind das zwei Paralleluniversen.“ Diplom-Designerin Katrin Wellmann (rund 1.050 Kontakte bei Xing), Geschäftsführerin von :echtform Industriedesign in Rösrath, hingegen hat durch ihre Aktivitäten in dem Business-Netzwerk viele gute geschäftliche Kontakte aufbauen können. „Ich habe nicht nur neue Kunden gewonnen, sondern auch Lieferanten und Kooperationspartner.“ Wellmann, die mehrere Xing-Gruppen moderiert – darunter auch die XPert Ambassador Group Medizintechnik mit rund 12.800 Mitgliedern – weiß aber auch: „Am Anfang heißt es in sozialen Netzwerken, egal ob off- oder online, immer: ,Erst geben, dann nehmen.‘ Niemand sollte es nur wegen des kurzfristigen Nutzens tun oder direkt ROI – Return of Investment – erwarten.“ Und: „Die Aufträge hätten wir sicher nicht bekommen, wenn wir nach der Erstkontaktaufnahme über Xing beim persönlichen Kennenlernen, Projektbesprechung und Angebotserstellung nicht überzeugt hätten.“


„Für uns lohnen sich Social-Media-Aktivitäten derzeit nicht“, sagt hingegen Michael Pesch, Geschäftsführer der STEINCO Paul vom Stein GmbH in Wermelskirchen. „Wenn wir unsere Rollen und Drehteile in geringen Stückzahlen an Endverbraucher verkaufen würden, sähe das vielleicht anders aus, aber im B2B-Bereich mit beratungsintensiven Produkten funktioniert die Kontaktaufnahme und -pflege aus meiner Sicht nur durch den persönlichen Kontakt auf Messen oder im Außendienst.“ Pesch glaubt aber auch: „Das kann in ein paar Jahren schon ganz anders aussehen. Wer mit Social Media aufwächst, hat noch einen ganz anderen Bezug dazu.“

These 2 | Durch Social-Media-Aktivitäten kommt man mit Kunden in den Dialog und kann sie so an das Unternehmen binden.


Zu dieser These hat Marketing-Experte Prof. Dr. Michael Bernecker eine klare Meinung: „Social Media eignen sich hervorragend, um Bestandskunden an das Unternehmen zu binden. Wenn Kunden in regelmäßigem Austausch mit dem Unternehmen stehen, Meinungen abgeben und Fragen stellen können und vom Unternehmen auch wirklich Antworten erhalten, kann dies zu einer starken Kundenbindung beitragen.“

Um „im Dialog auf Augenhöhe mit Kunden und Interessenten zu stehen“, ist auch die Bewotec GmbH aus Rösrath, die unter anderem Software-Lösungen für Reiseveranstalter entwickelt, seit Februar bei Facebook vertreten. Und der Dialog funktioniert bereits. So informierte das Unternehmen beispielsweise über ein „nagelneues Buchungstool von Sunny Cars, das den Expedienten eine wesentlich schnellere Buchung von Mietwagen ermöglicht“. Nicht einmal eine Stunde später kommentierte eine Reisebüro-Mitarbeiterin: „Schönes Tool. Sehr übersichtlich und praktisch, um Kunden ein Angebot in PDF-Form zu schicken.“

Bei mittlerweile rund 25.000 Fans gibt es auf der Facebook-Seite des Mediteranas auch viele Einträge von Besuchern. Regelmäßig regt das Mediterana-Facebook-Team die Fans mit Fragen zum Dialog an: Mal wird gefragt, welche guten Vorsätze man für die Fastenzeit hat – mal wird über die Temperatur eines Außenpools oder Liegenreservierer diskutiert. 50 bis 60 Postings zu einem Thema sind keine Seltenheit. Wenn darin Fragen gestellt werden, werden diese vom Mediterana meist in Rekordzeit beantwortet.

Ähnlich professionell verläuft der Dialog auf der OBI-Facebook-Seite, die von Wermelskirchen aus betreut wird. 50.000 Fans bedeuten auch täglich zahlreiche Fragen („Kann man bei euch Multimeter kaufen?“), Anregungen („Auf dem Parkplatz des Marktes in Erfurt ist es immer windig. Prüft doch mal die Aufstellung einer Kleinwindanlage“) und Links, beispielsweise zum YouTube-Video, in dem Reinhard Mey über „Männer im Baumarkt“ singt. „Radio Berg“-Chefredakteur David Fernandez freut sich zwar über die Resonanz der Hörer in sozialen Netzwerken, sagt aber auch: „Wir brauchen die Rückmeldung auf Facebook nicht unbedingt, bei uns rufen die Hörer direkt an oder schreiben Mails, die wir dann auch beantworten.“ Für Fernandez gilt in dem sozialen Netzwerk insgesamt: „Weniger ist mehr. Ich beobachte mich da selbst: Wenn ein Facebook-Kontakt ständig etwas postet, was mich nicht interessiert, bin ich genervt und blende das aus.“

Ob soziale Netzwerke klassische Medien in der Kommunikation ersetzen können, will Prof. Dr. Gerald Lembke von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg nicht mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ beantworten. „Das hängt ganz vom Geschäftsmodell des Unternehmens ab“, sagt der Autor des Buches „Social Media Marketing“. „Unternehmen, die bereits auf einem digitalen Geschäftsmodell basieren, können hier sicher einen Großteil ihrer Kommunikation ebenso digital abbilden.“ Doch für die meisten Unternehmen gelte wohl eher: ergänzen ja, ersetzen nein.

These 3 | Unternehmer erfahren durch Social Media, was Kunden über ihre Produkte denken, und können dies zu Marktforschungszwecken einsetzen.


Eine Bewertung in sozialen Netzwerken ist schnell geschrieben. Mal ist es ein einfaches „Gefällt mir“, andere User nehmen sich die Zeit, ausführlich ihre Meinung abzugeben – positiv wie negativ. So erfahren Unternehmen – natürlich nicht repräsentativ –, was Kunden über einzelne Produkte oder  Dienstleistungen denken. Prof. Dr. Michael Bernecker vom Deutschen Institut für Marketing unterscheidet passive und aktive Nutzung von sozialen Medien zur Marktforschung. Im ersten Fall werden lediglich bestehende Beiträge und Interaktionen anderer Nutzer beobachtet und ausgewertet. Leicht zu analysieren ist laut Bernecker vor allem die Forenlandschaft: „Mit Hilfe von Google lässt sich schnell herausfinden, wo bereits diskutiert wird.“ Eine umfassende Analyse der Social-Network-Landschaft sei schwieriger, „da sich ein Großteil der Inhalte auf den eigenen Freundeskreis der Nutzer beschränkt
und von Außenstehenden nicht eingesehen werden kann“. Wer allerdings Antworten auf gezielte Fragestellungen erhalten möchte, muss einen aktiven Ansatz wählen und direkt auf die Konsumenten zugehen.

Facebook-Umfragen, für die es ein spezielles Tool gibt, sind eine auch von rheinisch-bergischen Unternehmern häufig genutzte Möglichkeit, die Meinung der User abzufragen. So wollte das Quirl’s beispielsweise vor einiger Zeit wissen: „Welches Getränk vermisst ihr?“. Neben der häufig geklickten, wohl aber nicht ganz ernst gemeinten Antwort „Kölsch mit Kohlensäure“ gab es auch zahlreiche Stimmen für das Trend-Getränk „Appletini“ – ein Apfel-Martini. Voßler denkt nun darüber nach, es einzuführen. Das Mediterana fragte vor einiger Zeit, welchen Saunaduft die Besucher am liebsten mögen. Klarer Favorit: Lavendel. Andrea Götze: „Solche Informationen sind für uns sehr interessant und wichtig. Das werden wir künftig bei der Planung unserer Aufgüsse berücksichtigen.“

Social Media seien also auch im Bereich der Marktforschung eine gute Ergänzung zu Kundenbefragungen, die das Mediterana regelmäßig durchführt. Bernecker gibt folgenden Tipp: „Umfragen lassen sich auch leicht über Twitter realisieren. Hierfür steht mit twtpoll ein fertiges, in der Grundversion kostenloses Tool zur Verfügung.“ Für den Experten sind soziale Medien „eine kostengünstige, wenn auch nicht immer repräsentative Möglichkeit, um Marktforschung zu betreiben“.

 

These 4 | User können in sozialen Netzwerken und auf Bewertungsportalen kritische Kommentare ohne Freigabe veröffentlichen und so dem Unternehmen schaden.

Andrea Götze (Mediterana) erinnert sich noch gut an hausinterne Diskussionen im Vorfeld der Facebook-Aktivitäten des Unternehmens:„Klar gab es Bedenken, da es eine öffentliche Plattform ist. Zum Glück gab es bis heute nur sehr selten negative Kommentare. Wir gehen dann aber sehr transparent an das Thema heran, stellen uns der Kritik und versuchen, den Fehler entweder sofort zu beheben oder bitten um Verständnis.“ Für Alexander Voßler (Quirl’s) ist es das „größte Risiko“ sozialer Netzwerke, „dass Wettbewerber oder Gäste, die negativ aufgefallen und entfernt wurden, über Facebook Verleumdungen von sich geben können“. Voßler: „Sollte die Kritik gerechtfertigt sein, kündigen wir Verbesserungsvorschläge bzw. -maßnahmen an. Sollte sie ungerechtfertigt, vielleicht sogar böswillig sein, dann muss man eben erwidern und aufklären.“

Ekkehard Rüger, Redakteur beim Bergischen Volksboten, musste nach eigenen Angaben beim Facebook-Auftritt als Administrator noch nie eingreifen, „aber bei den Kommentaren auf unserer Homepage haben sich schon manchmal die berüchtigten Internet-Auseinandersetzungen abgespielt“. Kritik sei in Ordnung, findet Rüger, auch im scharfen Tonfall. „Aber bei Diffamierungen oder gezielten Falschinformationen muss man einschreiten. Die Kunst ist immer, einen sachlichen, moderierenden Ton anzuschlagen, um die Diskussion im Netz nicht eskalieren zu lassen.“ Auch bei OBI haben die Administratoren immer wieder mit kritischen Facebook-Kommentaren zu tun: So postet eine junge Userin von ihren schlechten Erfahrungen während eines Praktikums in einem der Märkte. Die Chefs seien unfreundlich gewesen und sie habe die Drecksarbeit machen müssen. Eine weitere Userin pflichtet ihr bei: „Da gebe ich dir recht, ich möchte da auch nicht mehr arbeiten.“ Danach passiert allerdings etwas, was laut Prof. Dr. Michael Bernecker recht typisch für Diskussionen in sozialen Netzwerken ist: Andere Mitglieder nehmen das Unternehmen in Schutz. So wird im folgenden Posting die Arbeitseinstellung der Praktikantin infrage gestellt, ein anderer Schreiber berichtet, wie gut ihm sein Job bei OBI gefällt. Und wie gehen die Administratoren mit solchen Einträgen um? Sie versuchen, die Diskussion nicht öffentlich weiterzuführen: „Schick uns doch bitte eine Mail und schildere den Vorgang. Wir hören dann einmal nach und melden uns.“ Gelöscht werden nur persönlich beleidigende Postings.

Christian Siegling, General Manager des Schlosshotels Lerbach, beobachtet sehr genau, was Gäste auf Facebook oder in den verschiedenen Bewertungsportalen schreiben. „Wir antworten auch auf Einträge. Probleme versuchen wir, im Dialog zu lösen.“ Prof. Dr. Gerald Lembke, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Studiendekan und Studiengangsleiter „Medienmanagement und Kommunikation“ ist, kennt die Ängste der Unternehmen, sagt aber: „Risiken entstehen nur, wenn die Kommunikation nebenbei und fahrlässig praktiziert wird und den Bedürfnissen der Zielgruppen nicht hinreichend genüge getan wird.“ Nicht hinreichend heißt für ihn „abwertend“, „nicht ernst nehmen“ oder „ignorieren“. Prof. Dr. Michael Bernecker glaubt, dass der Schaden von negativen Postings – wenn sie nicht gehäuft auftreten – nicht so schlimm ist, wie viele Unternehmer befürchten. Er weiß aber auch: „Es ist für einen Geschäftsführer der alten Schule, der jahrzehntelang die Kommunikation von seinem Schreibtisch aus steuern konnte, ein komisches Gefühl, wenn er plötzlich nicht mehr die Fäden in der Hand hat.“ Unternehmen müssten sich darüber bewusst sein, dass „so oder so im Web 2.0 über sie diskutiert wird, auch wenn sie selbst dort gar nicht aktiv sind“. Der Marketing-Fachmann rät: „Dann lieber mitdiskutieren, sich auf Kritik einlassen und diese kommentieren.“ Diffamierende Kommentare können aus seiner Sicht gelöscht werden.

These 5 | Mit Hilfe sozialer Netzwerke kann erfolgreich Personal-Recruitment betrieben werden.

Katrin Wellmann (:echtform) hat zwar noch nicht selbst über Xing Mitarbeiter gesucht („Praktikanten und freie Mitarbeiter finden uns – und wir haben die Qual der Wahl“), weiß aber durch ihre Tätigkeit als Gruppenmoderatorin, dass das Recruiting sehr von Xing und anderen sozialen Netzwerken profitiert hat. Wellmann: „In meiner MedTec-Gruppe ist die Jobbörse das aktivste Forum. Gerade Fachkräfte aus technischen Bereichen findet man auf Xing sicher am einfachsten, kostengünstigsten und gezielt.“ Das ist eine Einschätzung, die Florian Trautmann, Geschäftsführer der Bergisch Gladbacher Full-Service-IT-Agentur IT intouch teilt. Er sucht derzeit über Xing einen Typo3-Entwickler. In der Vergangenheit hatte Trautmann bereits Erfolg mit einer Xing-Stellenanzeige. Er hat einen App-Entwickler gesucht – und im fernen Thailand gefunden. „Insgesamt war die Resonanz auf die Anzeige sehr groß.“ Für ihn ist die 2003 unter dem Namen OpenBC gegründete Plattform mittlerweile erste Wahl bei der Suche nach neuen Mitarbeitern – auch wegen des aus seiner Sicht sehr interessanten Preismodells, bei dem er 79 Cent pro Klick auf die Anzeige bezahlt. Bei der ersten Bewerbung waren es insgesamt rund 60 Euro. „Bei Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Portalen zahle ich einen Festpreis, auch wenn sich im schlechtesten Fall niemand die Anzeige angeschaut hat.“ Auch das Mediterana sucht mit Hilfe von Facebook neues Personal. Ein entsprechendes Posting wurde 19-mal geteilt – also von Fans auf die eigene Pinnwand gestellt. Drei User kündigten daraufhin eine Bewerbung an.

These 6 | Der Zeit- bzw. Personalaufwand ist hoch, der Profit von Social-Media-Aktivitäten gering.


„Diese These halte ich für falsch“, sagt Prof. Dr. Michael Bernecker. Zumindest treffe sie für die meisten Unternehmen nicht zu. Der Marketing-Experte weiter: „Noch preiswerter als über Social Media komme ich kaum an eine große Menschenmenge heran.“ Ob ein Unternehmen daraus dann auch Profit ziehen könne, hänge auch von der Qualität der Umsetzung und des Produktes ab: „Es ist ja auch immer die Frage, was ich aus dem generierten Traffic mache“, sagt Bernecker. Grundsätzlich sollte vorher klar definiert werden, welche Ziele mit den Social-Media-Aktivitäten verfolgt werden: Neukundengewinnung, Kundenbindung, Imagepflege, Verkauf... „Wer alles will, muss natürlich auch mehr Zeit investieren“, sagt Bernecker. Laut Prof. Dr. Gerald Lembke muss ein Unternehmen, das Social Media erfolgreich und effektiv einsetzen will, mindestens 20 Arbeitsstunden pro Woche einkalkulieren. „Das läuft also nicht so nebenher.“ Andrea Götze vom Mediterana schätzt den Zeitaufwand – je nach Aktivität – auf durchschnittlich zwei Stunden pro Tag, manchmal aber auch mehr. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht für sie dennoch auf: Die Social-Media-Aktivitäten sollen ausgebaut werden, um „unseren Bekanntheitsgrad weiter auszubauen und die Identifikation der ‚Fans‘ mit unserem Hause zu stärken“.

Für einen Tageszeitungs-Redakteur wie Ekkehard Rüger sind Facebook und Twitter erst einmal Mehrarbeit. Aber er sieht auch die Vorteile bei der Recherche: „Ich bin selbst überrascht, wie viele Geschichten sich bereits ergeben haben, die ohne Facebook nie geschrieben worden wären. Von daher wurden meine Erwartungen übertroffen.“ Radio Berg beschränkt seine Facebook-Aktivitäten auf rund zehn Einträge pro Monat. „Das ist aus meiner Sicht auch völlig ausreichend“, sagt David Fernandez. „Selbst fünf Minuten Zeitaufwand pro Tag sind aus meiner Sicht zu viel. Aufs Jahr hochgerechnet sind das immerhin 30 Arbeitsstunden, die woanders fehlen.“ Der Chefredakteur sieht es außerdem nicht ein, „Werbung für ein fremdes Unternehmen zu machen, das ich selbst nicht beeinflussen kann – und das schon mal gerne seine Geschäftsbedingungen oder sein komplettes Outfit ändert.“ Der Chefredakteur fragt sich: „Was ist denn, wenn ich mein gesamtes Marketing auf Facebook abstelle – und ich mich irgendwann überhaupt nicht mehr damit identifizieren kann?“ Darum promotet er lieber die eigene Homepage. „Da sind wir von niemandem abhängig.“

Katrin Wellmann nimmt sich für die von ihr moderierte Xpert-Gruppe MedTec bei Xing etwa eine halbe Stunde täglich. „Andere Gruppen, die noch im Aufbau sind, brauchen etwas mehr Aufmerksamkeit, wieder andere laufen zurzeit eher nebenher.“ Das klingt nach viel Zeit, dennoch stehen für die :echtform-Geschäftsführerin Aufwand und Nutzen in einem guten Verhältnis.

Ein Unternehmen, das ganz bewusst noch nicht im Bereich Social Media aktiv ist, ist die KRONENBERG Profil GmbH aus Leichlingen: „Wir haben uns in den letzten Monaten immer wieder mit dem Thema befasst, uns derzeit aber noch dagegen entschieden. Aus unserer Sicht setzt die Nutzung der Social-Media-Plattformen eine tägliche Überwachung der Aktivitäten und Pflege der eigenen Daten voraus. Darauf sind wir noch nicht eingerichtet“, sagt Geschäftsführer Frank Schmitz. „Weiterhin stellen wir uns derzeit noch die Frage nach dem Nutzen, der für uns höchstens im Bereich der Imagepflege liegt, und der Akzeptanz unserer Kunden, schließlich ist unser Business immerhin traditionell behaftete Old Economy.“ Falls das Leichlinger Unternehmen künftig doch im Bereich Social Media aktiv wird, könnte sich Schmitz vorstellen, dass die Auszubildenden im Rahmen eines Projektes die Pflege übernehmen.

Während OBI alle Inhalte intern steuert – laut Elena Ottaviano greift die Marketingabteilung auf ein Team von Experten aus verschiedenen Unternehmensbereichen zurück –, hat sich das Mediterana eine spezialisierte Agentur ins Boot geholt, die den Facebook-Account betreut. Innerhalb der Althoff Hotel & Gourmet Collection entscheidet jedes Hotel individuell, was es zu welchem Zeitpunkt einstellt. „Aber mindestens einmal pro Woche sollte ein Facebook-Eintrag gemacht werden“, sagt Marketing- und Sales-Direktorin Katja Fauth, da es wichtig sei, regelmäßig auf den Social-Media-Plattformen präsent zu sein.

Abwägung von Chancen & Risiken

Wer in der Suchmaschine „Social Media“ und „Chancen“ eingibt, erhält 12,7 Millionen Ergebnisse, in Verbindung mit dem Begriff „Risiken“ 15,7 Millionen Treffer. Ob der Einsatz von Social Media für Unternehmen sinnvoll oder riskant ist, kann also offenbar nicht eindeutig und allgemeingültig beantwortet werden. Die von der punkt.RBW befragten Unternehmer ziehen jedoch ein überwiegend positives Zwischenfazit ihrer Aktivitäten. Für Katrin Wellmann beispielsweise haben sich noch keine Nachteile ergeben. Die größten Vorteile sind für sie die Bequemlichkeit, die Direktheit und Unmittelbarkeit. Innerhalb der Althoff Hotel & Gourmet Collection werden Facebook, Twitter & Co. als „Chance für unser Unternehmen“ gesehen. Und auch Stefan Rabe von der Stadt Wermelskirchen findet es „grundsätzlich empfehlenswert, den städtischen Internetauftritt durch den Einsatz von Social Media zu erweitern“. Muss also künftig jedes Unternehmen im Bereich Social Media aktiv sein? „Nein“, sagt Prof. Dr. Michael Bernecker, „es kommt ganz auf das Unternehmen an.“ Riskant könne der Einsatz von Social Media vor allem dann sein, wenn „heikle“ Produkte hergestellt oder Dienstleistungen angeboten werden. Er sagt aber auch: „Aussitzen wird bei Social Media nicht funktionieren. Das ist kein Trend, der bald wieder verschwunden ist.“ Prof. Dr. Gerald Lembke prognostiziert, dass Unternehmen ihre Social-Media-Aktivitäten in den nächsten fünf Jahren vielerorts professionalisieren und sich anderenorts zurückziehen werden: „Grundsätzlich sind Unternehmen jedoch gezwungen, sich mit der zunehmenden Digitalisierung ihres Ökosystems auseinanderzusetzen.“ Philipp Nieländer