Der Chef ist eine Frau

Titelthema punkt.RBW 01/2015

Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Nach Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von 2001 bis 2010 um acht Prozentpunkte. Und auch im Rheinisch-Bergischen Kreis sitzen immer mehr Frauen in den Chefsesseln. Chefredakteur Philipp Nieländer hat sich mit Frauen unterhalten, die in ganz unterschiedlichen Branchen erfolgreich sind.

Beispielsweise mit Ulla Wielpütz. Die 58-Jährige führt die Wielpütz GmbH in Rösrath – ein traditionsreiches Hand-werksunternehmen. Kim Bauer ist seit knapp einem Jahr Vorstandsmitglied der Netempire AG und arbeitet dort fast ausschließlich mit Männern zusammen. Außerdem schafft die 38-Jährige den Spagat zwischen Familien- und Berufsleben – genau wie Bettina Wisniewski, Center-Managerin der Bergisch Gladbacher Rhein-Berg-Galerie. Auf unsere Frage, was frau mitbringen muss, um erfolgreich im Beruf zu sein, sagt Wisniewski: „Man muss kompromisslos sein.“ Welche weiteren Eigenschaften sind wichtig? Wie lassen sich Beruf und Familie unter einen Hut bekommen? Akzeptieren Männer eine Chefin? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt es auf den folgenden Seiten.

„Frauen sind nicht so karrierefixiert wie Männer“, lautet ein verbreitetes Klischee. Wie sieht das in der Realität aus? Unterhält man sich mit beruflich erfolgreichen Frauen aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis, wird klar: Die wenigsten von ihnen hatten das Ziel, Karriere zu machen. Die meisten haben es getan, weil sich ihnen die Gelegenheit bot. Im Fall von Ulla Wielpütz allerdings gab es kaum eine Wahl. Die 58-Jährige ist seit mehr als 30 Jahren Geschäftsführerin der Wielpütz GmbH in Rösrath-Hoffnungsthal, eines Unternehmens, das bereits 1845 gegründet wurde und heute Spezialist für Heizung, Bäder und Solartechnik ist. Nach dem Abitur und der höheren Handelsschule lernte die gebürtige Rösratherin, die damals noch Ulla – eigentlich Ursula – Hasenberg hieß, erst einmal den Beruf der Sekretärin. „Das klingt nicht unbedingt nach großer Karriere, oder?“, sagt sie schmunzelnd. Statt den Blumenladen ihrer Eltern zu übernehmen, arbeitete sie bei Interatom in Bergisch Gladbach, ging für ein Solarkraftwerk-Projekt als Baustellensekretärin für ein Jahr nach Spanien – und heiratete nach der Rückkehr Dieter Wielpütz. „Damit war dann auch mein weiterer beruflicher Weg klar“, sagt Ulla Wielpütz rückblickend. „Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, etwas anderes zu tun, als in das Unternehmen meines Mannes, das er in der fünften Generation führte, einzusteigen.“ Für die Mitarbeiter sei sie – obwohl sie bereits seit 1986 offiziell Geschäftsführerin ist – zu dieser Zeit aber nicht „die Chefin“, sondern „die Frau vom Chef“ gewesen – was ihr damals aber auch nichts ausmachte. „Mein Mann war der typische Handwerker und kein Schreibtischmensch, also hab ich ihm all das abgenommen, was er nicht so gut konnte. Da haben wir uns gut ergänzt. Ich wäre aber zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, den Monteuren irgendwelche Anweisungen zu geben.“ Das Unternehmen wuchs – und Ulla Wielpütz kämpfte Mitte der 90er-Jahre dafür, die Ausbildung zur Betriebswirtin des Handwerks machen zu dürfen. „Nicht, weil ich einen Zettel an der Wand hängen haben wollte“, stellt sie klar, „sondern weil ich das Wissen haben wollte.“ Noch während der Ausbildung erkrankte Ehemann Dieter schwer und verstarb 1997 – und plötzlich war Ulla -Wielpütz in der Situation, das Unternehmen alleine führen zu müssen – „allein in einer Männerdomäne“, sagt sie. „Das wollte ich eigentlich nie.“

 

Auch Kim Bauer (38), seit April 2014 Vorstandsmitglied der Rösrather Netempire AG – eines Unternehmens, das individuelle Softwarelösungen entwickelt –  hätte sich ihren beruflichen Werdegang  „noch vor ein paar Jahren nicht träumen lassen“. Die Karriere habe sie zwar immer im Blick gehabt, „sie dann aber im Zuge der Familienplanung zurückstellen müssen und geglaubt, dass ich im Beruflichen erst wieder Gas geben kann, wenn die Kinder in der Schule sind. Aufgrund der Situation bei Net-empire kann ich beides vereinbaren, natürlich mit Anstrengung und Abstrichen.“  Die Diplom-Kauffrau (BWL-Studium an der Universität zu Köln) arbeitete zunächst als Produkt-managerin, später dann als stellvertretende Marketingleiterin für ein Unternehmen, das Softwarelösungen für Immobilienverwalter und -vermarkter, Bauträger sowie die Wohnungswirtschaft entwickelt. „Dort war ich achteinhalb Jahre beschäftigt und in dieser Zeit sind auch meine beiden Kinder geboren.“ Nach der Elternzeit habe sie verschiedene Optionen gehabt – und sei dann eigentlich ganz zufällig mit Netempire-Vorstand Andreas Nettesheim ins Gespräch gekommen. „Weil mir die Unternehmenskultur gefallen hat, habe ich nicht lange überlegt“, sagt Kim Bauer. „Und auf einmal hatte ich dann meinen ersten Tag als Marketing-leiterin.“ Weil sie in dieser Funktion auch an der Marktentwicklung beteiligt gewesen sei, „bin ich von Anfang an in die Inhalte des Managementbereichs einbezogen worden“. Dabei muss sie den – männlichen –
Vorstandsmitgliedern äußerst positiv aufgefallen sein. „Auf einmal bin ich gefragt worden, ob ich mir einen Wechsel in den Vorstand vorstellen könnte – nach gerade einmal einem Jahr im Unternehmen. Damit hatte ich in keiner Weise gerechnet. Ich habe zwar einmal drüber geschlafen, habe aber natürlich nicht ,Nein‘ gesagt.“ Bauer hat also die Chance erkannt und ergriffen.

 

st es also nur das größere Karriere-denken bei Männern, das für die nach wie vor ungleiche prozentuale Geschlechterverteilung in den Führungsetagen verantwortlich ist? „Nein“, sagt Dr. Sandra von Möller, Geschäftsführerin der Leichlinger BÄRO GmbH & Co. KG, eines Unternehmens, das auf Beleuchtungslösungen für den Einzelhandel zur optimalen Warenpräsentation sowie auf Produkte und Anlagen im Bereich Clean Air Technologies spezialisiert ist. „Es gibt viele Gründe. Einer ist die noch immer schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen. Denn die Grundvoraussetzung dafür sind gute Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder und zwar sowohl im Alltag als auch im Notfall – etwa, wenn ein Kind krank ist.“ Zwar habe sich bei der U3-Betreuung in der letzten Zeit einiges getan, „aber richtig schwierig wird es, wenn die Schule beginnt“, so von Möller. Es gebe viel zu wenig Ganztagsbetreuung – qualitativ und quantitativ. „Und die Zeiten sind oft viel zu unflexibel.“


Positive Erfahrungen in dieser Hinsicht hat Bettina Wisniewski, Center-Managerin der RheinBerg-Galerie in Bergisch Gladbach, gemacht. Bis zur Geburt ihrer Tochter Lea im Jahr 2004 war sie innerhalb der Hamburger ECE Projektmanagement Gesellschaft für das Rhein-Center und später für den Olivandenhof in Köln zuständig. „Nach der Elternzeit kam das klare Signal, dass man weiter mit mir plant – und mir eine Teilzeitstelle ermöglichen wird“, sagt -Wisniewski. „Der ECE-Vorstand hat früher als andere erkannt, dass man auf erfahrene und gute Mitarbeiter nicht verzichten kann – nur weil sie temporär nicht 100 Prozent für das Unternehmen geben können.“ Seit 2009 ist Wisniewski in Bergisch Gladbach. Auch ihr jetziger Arbeitgeber, die hkm Centermanagement GmbH als Betreiber der RheinBerg-Galerie, habe stets flexible und familienfreundliche Regelungen ermöglicht, lobt Wisniewski. „Ich arbeite halt manchmal zu ungewöhnlichen Zeiten, bin dann in aller Herrgottsfrühe da – dafür aber auch mal eher weg.“ Insgesamt habe sie ein Umdenken der Arbeitgeber beobachtet: „Es wird mittlerweile häufiger langfristig gedacht“, sagt Wisniewski. Und das zahle sich aus – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. „Ich zum Beispiel bin dankbar für die Dinge, die der Arbeitgeber mir möglich gemacht hat, das gebe ich jetzt zurück und habe emotional eine viel stärkere Bindung an meinen Arbeitgeber, als ich sie sonst vermutlich hätte.“„Auch in der Gesellschaft ändert sich langsam etwas“, sagt Bettina Wisniewski. „Man ist keine Rabenmutter, nur weil man arbeitet.“ Sie sei im Laufe der Jahre häufiger angefeindet worden, „wie ich denn mein Kind weggeben könne“, so Wisniewski. Mittlerweile komme das „zum Glück deutlich seltener vor“.

 

Das ist eine Erfahrung, die auch Sabina Henrich-Bandis gemacht hat, die früher im Vertrieb verschiedener Modekonzerne gearbeitet hat und heute den Golfclub am Lüderich in Overath führt. „Ich habe öfters zu hören bekommen, warum ich denn Kinder bekommen hätte, wenn ich doch lieber arbeiten wolle“, sagt die 49-Jährige, deren jüngere Tochter gerade Abitur gemacht hat und deren ältere Tochter studiert. „Frankreich zum Beispiel hat eine andere Tradition: Dort werden Kinder sehr früh und mit gutem Gefühl abgegeben, Deutschland ist traditionell anders geprägt – über viele Generationen.“ Das ändere sich langsam. „Der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich in der Stadt schneller als auf dem Land“, hat Kim Bauer beobachtet. „Meiner Meinung nach macht es Kinder nicht automatisch glücklicher, wenn Eltern mehr Zeit haben. Denn: Wenn man in der neuen Rolle als Mutter unzufrieden ist, weil man nur noch zu Hause sitzt, dann überträgt sich das auch auf die Kinder.“ In dieser Beziehung seien die Menschen nun einmal unterschiedlich, sagt Bauer: „Wenn eine Mutter in ihrer Rolle aufgeht, glücklich und zufrieden ohne Arbeit ist, dann finde ich das toll. Dann sollte man sich diese Zeit auch nehmen, wenn es finanziell möglich ist – übrigens gilt das auch für Väter.“ Sie selbst liebe ihre Kinder, die vier und sieben Jahre alt sind – aber eben auch ihre Arbeit. Und darum ist sie froh, beides unter einen Hut zu bekommen: „Und ich glaube, dass ich beides sehr gut hinbekomme.“Mutter sein und arbeiten sei ein „Spagat“, sagt Bettina Wisniewski, der eine gute Logistik erfordere. „Wenn ich nachmittags nach Hause komme, tausche ich Hosenanzug gegen Jeans und Sweatshirt. Dann bin ich ganz für meine zehnjährige Tochter da – und bin nicht noch mit halbem Kopf bei der Arbeit.“ Wichtig sei ein funktionierendes Netzwerk: „Wenn ich Samstag und Sonntag freihabe, lade ich oft Kinder von Freunden ein, dafür nehme ich umgekehrt unter der Woche mal Hilfe in Anspruch, wenn ich mal länger arbeiten muss.“

 

Wisniewski: „Ich habe viel mit meiner Tochter über meinen Beruf gesprochen. Wenn ich das Gefühl hätte, dass das Kind unter der Situation leidet, dann würde ich beruflich zurücktreten.“ Es ist wichtig, dass das Kind den Arbeitsplatz kennenlernt. Meine Tochter besucht mich häufig in der Galerie und findet das total spannend – und ist auch ein wenig stolz, dass die Mama für all die tollen Läden verantwortlich ist“, ergänzt die Center-Managerin. Kim Bauer sieht es ähnlich: „Meine Tochter ist ein sehr klar denkender Mensch. Als sie erfahren hat, dass ich weniger zu Hause sein werde, hat sie zunächst schockiert reagiert. Das hat ganz schnell nachgelassen, als ich sie einige Male zur Arbeit mitgenommen habe. Jetzt ist mein Arbeitsplatz für sie positiv besetzt, weil sie gesehen hat, dass es mir hier gut geht.“Dass sich die Zeiten geändert haben, zeigt das Beispiel von Ulla Wielpütz. „Ich hatte damals – Anfang der 1980er-Jahre – ganz einfach einen Schreibtisch in unserem Esszimmer stehen. Unter dem Tisch spielten schon mal meine Töchter. Und wenn ein Kunde anrief, war halt auch schon mal Kindergeschrei zu hören.“ Das sei heute nicht mehr möglich – und das nicht nur, weil das Unternehmen gewachsen sei. „Früher hat mein Mann vom Stammtisch zwei Aufträge mitgebracht. Es musste dann nur noch geklärt werden, ob die Fliesen rosa, hellblau oder grün sein sollen – und die Dusche 90 mal 90 oder doch lieber 90 mal 75“, erinnert sich die Unternehmerin. „Und es hat auch niemand eine Antwort innerhalb einer Stunde erwartet.“ Heute stecken in einer Badplanung schon mal 20 Stunden Arbeit – „und dann habe ich immer noch keine Unterschrift des Kunden“, so Wielpütz. „Dafür kommt nach zwei Stunden eine zweite Mail, in der gefragt wird, ob man die erste nicht bekommen habe.“ Darum sei es nur folgerichtig, dass ihre Tochter Eva, die den Betrieb in sechster Generation weiterführen wird, nach der Geburt ihrer Söhne Philipp und Hendrik jeweils in Elternzeit gegangen ist – „auch wenn sie natürlich an allen Ecken und Enden fehlt“.

 

Seit Anfang des Monats ist Eva Wielpütz mit reduzierter Stundenzahl aber zurück und kümmert sich zusammen mit Ehemann Michael Wielpütz-Hahn, der Anfang 2014 ins Geschäft seiner Schwiegermutter eingestiegen ist, vor allem um die Badplanung.Zwei starke Frauen in einem Unternehmen – kann das gut gehen? „Es haben mir ja viele Leute abgeraten, mit der Tochter in einem Unternehmen zu arbeiten. Sie haben gesagt, dass das bestimmt nicht gut geht“, erinnert sich Ulla Wielpütz, „aber es klappt in der Praxis ganz hervorragend. Manchmal merkt man zwar den Generationenunterschied, aber wir ticken in vielen Punkten gleich.“ „Frauen können gut miteinander arbeiten, wenn die Zielsetzung stimmt“, glaubt auch Marianne Brochhaus, seit 2008 Regionaldirektorin der Kreisspar-kasse Köln. Die Zusammenarbeit mit ihrer Stellvertreterin Andrea -Grabowsky beschreibt sie „als eine Einheit“. Es werde unter Frauen mehr gestaltet und nicht lange diskutiert. „Die Dinge kommen schneller in Gang.“ Brochhaus ist ihrem Arbeitgeber seit rund 40 Jahren treu. „Ich konnte hier im Unternehmen immer wieder etwas anderes machen“, sagt sie. „Das hat mich gereizt.“ Für den Direktorenposten warf die Betriebswirtin, die zuvor die Leitung der Hauptfiliale am Neumarkt in Köln mit 80 Mitarbeitern innehatte, selbst ihren Hut in den Ring – als erste Frau überhaupt. „Wenn ich weiterkommen will, muss ich aktiv werden. Denn ich werde nicht entdeckt“, sagt sie.„Ein starker Charakter ist wichtig, um als Frau erfolgreich im Beruf zu sein“, sagt Ulla Wielpütz. „Ich bin im Laufe der Jahre härter geworden – das musste ich erst lernen.“ Bettina Wisniewski meint: „Man muss manchmal kompromisslos sein. Ich bin nicht da, um die beste Freundin unserer Mieter zu sein, sondern muss das Objekt nach vorne bringen. Darum stört es mich auch nicht, wenn mal jemand lautstark über mich schimpft. Das nehme ich dann nicht persönlich.“ Wichtig sei es umgekehrt aber auch, ein partnerschaftliches Mitei-nander mit den Mietern der einzelnen Läden zu pflegen. „Das können Frauen ganz gut“, meint Wisniewski.

 

Was ist noch wichtig – und „typisch Frau“? Sie sei ein kreativer Mensch. „Ich glaube, das ist eine Stärke von uns Frauen“, sagt Sabina Henrich-Bandis. „Ich gehe offen und tolerant an die Sachen heran, pflege einen sehr persönlichen Umgang mit den Golfern und wärme auch schon mal kalte Hände – das würde sicherlich kein Mann machen.“ Der „persönliche Draht“ zu den Mitarbeitern ist auch Ulla Wielpütz wichtig. „Frauen sind besser in der Kontaktpflege“, sagt die 58-Jährige. Insgesamt habe sie festgestellt, „dass Frauen Dinge eher aus dem Bauch heraus entscheiden, Männer eher mit dem Kopf.“ Wielpütz: „Als mein Mann gestorben ist, habe ich versucht, sein Handeln zu übernehmen und das Unternehmen genau so zu führen, wie er es getan hat. Das ist völlig in die Hose gegangen. Man muss authentisch sein und seinen eigenen Stil ins Unternehmen bringen.“„Männer sind wettbewerbsaffiner“, nennt Sandra von Möller einen weiteren Unterschied zwischen den Geschlechtern. „Männer stellen ihre guten Leistungen stärker heraus und sind fordernder. Frauen machen ihre Aufgabe gut und reden nicht darüber. Sie hoffen, dass der Vorgesetzte es erkennt und entsprechend wertschätzt – das ist jedoch oft nicht der Fall.

 

Pauschal zu sagen, was typisch Mann, was typisch Frau ist, scheint also schwierig zu sein. „Am Ende ist es doch mehr eine Charaktersache“, findet Wisniewski. Und auch Kim Bauer meint: „Ich glaube, dass es gar nicht so viele typisch weibliche und typisch männliche Eigenschaften gibt. Wie sagt man im Rheinland so schön? Jeder Jeck ist anders.“ Fakt sei aber auch, dass man sich als Frau stärker beweisen müsse – gerade in Männerdomänen. Und: „Frauen stellen sich schneller infrage als Männer, haben einen sehr hohen Anspruch an sich selbst. Wenn ich meinen Ansprüchen genüge, dann weiß ich, dass ich sehr gute Leistungen erbringe.“ Und das wiederum führe zu einer höheren Akzeptanz: „Ich glaube, frau wird ernst genommen, wenn sie sich mit den Inhalten intensiv auseinandersetzt und Verantwortung übernimmt – auch in unbequemen Situationen. Ich war schon sehr gespannt auf die Reaktionen unserer männlichen Programmierer. Denn für die Kollegen kam die Entscheidung unerwartet, da eine Erweiterung des Vorstands nicht vorgesehen war. Ich war positiv überrascht, dass es nicht mehr ,Wellen‘ geschlagen hat.“Das war bei Ulla Wielpütz nach dem Tod ihres Mannes 1997 ganz anders. „Die Mitarbeiter haben die Grenzen ausgetestet und dabei auch immer wieder überschritten. Sie haben gedacht, sie könnten sich mir gegenüber alles erlauben – auch weil sie sich sicher waren, dass ich von ihnen abhängig bin.“ Wielpütz zeigte Stärke: „Ich lasse mich nicht erpressen – von niemandem. Und ich lasse mir auch nicht auf der Nase herumtanzen.“ Sie traf eine schwere, „aber rückblickend völlig richtige Entscheidung“. Sie entließ gleich mehrere langjährige Mitarbeiter und suchte neues Personal. „Wer sich bei mir bewirbt, weiß von Anfang an, dass der Chef eine Frau ist – und hat für sich hoffentlich geklärt, ob er damit ein Problem hat.“ Mittlerweile seien in der Belegschaft nur noch Goldstücke, die -Wielpütz als Chefin voll und ganz respektieren. „Und für die gehe ich dann umgekehrt auch durchs Feuer.“Auch bei Bettina Wisniewski brauchte es etwas Zeit, bis sie an ihrer neuen Wirkungsstätte als Chefin akzeptiert wurde. „Aber vielleicht wäre das einem Mann ähnlich gegangen“, sagt sie. „Es testen halt viele mal an, wie weit sie gehen können. Manche denken vielleicht, dass man als Frau per se eher ,Ja‘ zu etwas sagt, weil man keinen Streit möchte.“ Die langjährige Erfahrung und das Abgucken bei noch erfahreneren Kollegen habe ihr geholfen, eine klare Linie zu finden: kompromisslos, authentisch, ehrlich und fair.

 

„Einige wenige blöde Sprüche“ musste sich auch Claudia Göbel (37) im Laufe der Jahre anhören, „aber es hat sich zum Glück alles im Rahmen gehalten“. Ihre Eltern Peter und Ursula Renner hatten 1980 die Firma Delphin Technology in Kürten gegründet. Die Aktiengesellschaft, die heute in Bergisch Gladbach-Refrath beheimatet ist, entwickelt, produziert und vertreibt hochwertige Hard- und Softwareprodukte für die industrielle Mess- und Prüftechnik. Ins Unternehmen einzusteigen war nach dem Abitur erst einmal keine Option für Göbel. Sie absolvierte stattdessen eine Hotelmanagement-Ausbildung und arbeitete unter anderem im Steigenberger Hotel im schweizerischen Davos und im Hyatt in Detroit. Dann entschied sie sich für ein BWL-Studium und stieg nach dem Abschluss ins elterliche Unternehmen ein – zunächst im Bereich Marketing. „Unsere langjährigen Mitarbeiter kennen mich noch aus dieser Zeit“, sagt Göbel – „aber als Familienmitglied hatte ich vielleicht eine andere Rolle, als wenn ich mit 24 Jahren extern in ein männerdominiertes Unternehmen gekommen wäre. Ich habe mich aber umgekehrt auch nie darauf ausgeruht, dass ich ja Familienmitglied bin und irgendwann sowieso die Firma übernehme.“ Im Gegenteil: Claudia Göbel nahm – zusätzlich zum Beruf – ein berufsbegleitendes MBA-Studium auf, das sie 2012 abschloss. Kurz danach wurde sie zur Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens ernannt, während ihre Mutter Ursula Renner in den Aufsichtsrat wechselte. „Ich glaube nicht, dass ich mich durch diesen beruflichen Aufstieg verändert habe“, sagt Göbel, die im Vorstand mit Frank Ringsdorf – seit mehr als zehn Jahren zuständig für Technik – „sehr gut und sehr vertrauensvoll zusammenarbeitet“. Generell ist Göbel der Meinung, dass Unternehmen erfolgreicher sind, wenn sie von gemischten Führungsteams geleitet werden, „weil Männer und Frauen oft doch unterschiedliche Sichtweisen haben, die sich gut vereinen lassen“. Nach wie vor ist der Frauen-Anteil bei Del-phin Technology sehr niedrig. „Es bewerben sich im IT-Bereich leider kaum Frauen“, bedauert Claudia Göbel. „Ich würde aber auch nicht bewusst eine Quoten-Frau einstellen.“„Ich bin grundsätzlich gegen eine Quote“, sagt Claudia Göbel. „Zum einen, weil sie plakativ zeigt, dass etwas noch immer nicht normal ist, was eigentlich längst normal sein sollte – und die Wirtschaft es auch nicht ohne Druck hinbekommt“, so Göbel. „Zum anderen sollten Unternehmen weiterhin die Möglichkeit haben, eine Stelle mit der Bewerberin oder dem Bewerber zu besetzen, von der oder dem sie ausgehen, dass sie oder er am besten zum Betrieb und zur Qualifikation der Stelle passt.“

 

Auch Bettina Wisniewski kann einer Quote nichts abgewinnen: „Wenn sich frau künftig fragen muss, ob sie den Job nur bekommen hat, weil gerade noch dringend ein Quoten-Platz besetzt werden musste – und ob das Unternehmen nicht viel lieber einen anderen – männlichen – Bewerber eingestellt hätte, ist das doch auch ein komisches Gefühl.“„Was mich hingegen freut, sind die Erfolge, die wir in jüngster Vergangenheit in der Region erzielen konnten“, sagt Göbel. So konnte die Zahl der Frauen in der IHK-Vollversammlung von vier in der vorletzten auf über 17 in der letzten und auf 27 in der aktuellen Wahlperiode gesteigert werden – darunter aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis Sandra von Möller, Sabina Henrich-Bandis, Ute Hentschel, Inhaberin der gleichnamigen Buchhandlung in Burscheid, und Diana Schramm, geschäftsführende Gesellschafterin der SARIVA GmbH, eines Finanzberatungsunternehmens aus Kürten. „Außerdem haben wir erreicht, dass erstmals Frauenziele in die Ziele der IHK aufgenommen werden“, freut sich Claudia Göbel, die selbst seit 2010 gewähltes Vollversammlungs-Mitglied ist und auch den Frauen-Business-Tag der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln mitinitiiert hat. Die erste Ausgabe fand 2012 statt. Seither steigen die Aussteller- und Teilnehmerzahlen Jahr für Jahr kontinuierlich.Insgesamt sei es für Frauen wichtig, sich zu vernetzen, sagt Sandra von Möller. „Beim beruflichen Weiterkommen spielen Netzwerke eine große Rolle und traditionell netzwerken Männer untereinander leichter.“ 

 

Der Rheinisch-Bergische Kreis ist, was Netzwerke für Frauen angeht, mittlerweile gut aufgestellt. Vor gut drei Jahren wurde das „FiF-Netzwerk – Frauen in Führung“ in Bergisch Gladbach gegründet. Die Idee dazu hatte die städtische Frauenbeauftragte Michaela Fahner. Derzeit tauschen sich 18 Frauen regelmäßig aus und bieten in einem Mentorinnen-Projekt Hilfe an. „Das Mentoring dauert ein Jahr“, erläutert Fahner. „Das Programm richtet sich nicht an Berufsanfängerinnen, sondern an Frauen, die schon erste Berufserfahrungen gesammelt haben und nun weitere Verantwortung anstreben.“ Jeder Mentee wird eine Mentorin an die Seite gestellt. „Ziel ist es“, so Fahner weiter, „dass die Mentee ihre eigenen Fähigkeiten besser kennen und einschätzen lernt und sich damit neue Karrierewege auftun.“

 

Bereits 1998 ins Leben gerufen wurde das Netzwerk Aktive Bergische Unternehmerinnen – ABU. „Wir bieten Informationen über Berufsgrenzen hinweg und schaffen damit einen freieren Blick auf die eigene Tätigkeit“, sagt Vorstandsmitglied Sibylle Haas. „Die sachlich-fachlichen Gespräche unter Gleichgesinnten erleichtern den Berufsalltag und führen zu neuen Ideen. Wir unterstützen uns gegenseitig, tauschen uns über berufliche sowie angrenzende private Themen aus und empfehlen einander weiter, um uns gegenseitig in unserem Geschäft weiterzubringen.“ Viermal pro Jahr finden Stammtische statt, außerdem gibt es regelmäßig Vorträge zu verschiedenen Themen. Und auch den Bergischen Unternehmerinnen-Tag richtet das Netzwerk ABU einmal pro Jahr aus.

 

Auch in Rösrath fand 2014 erstmals ein Unternehmerinnen-Tag statt (punkt.RBW berichtete). 36 Unternehmerinnen und Freiberuflerinnen präsentierten sich im April im Werkstattgebäude von Schloss Eulenbroich. Die Idee zum Unternehmerinnen-Tag sei aus einem „losen Zusammenhang“ von unternehmerisch tätigen Rösratherinnen entstanden, sagt Eva Richter, eine der vier Organisatorinnen. „Bei den Treffen zeigte sich, dass es ein Bedürfnis gibt, die Vielfalt des weiblichen Unternehmertums auch öffentlich bekannt zu machen.“ Die Resonanz auf den Tag sei größer als geplant und erhofft gewesen. Und auch das Competentia-Kompetenzzentrum Frau und Beruf in Köln ist Ansprechpartner, bietet Beratung und Informationsveranstaltungen an.Die Beispiele aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis zeigen: In den vergangenen Jahren hat sich etwas getan. Immer mehr Frauen übernehmen Führungsaufgaben. Und sie haben Freude daran. Sie lieben ihren Beruf.

 

Wie wird die weitere Entwicklung verlaufen? „Der Wandel ist auf dem Weg“, sagt Claudia Göbel. „Zu einem 50/50-Prozent-Anteil wird es aber auch in der Zukunft nicht kommen, weil sich nach wie vor Frauen bewusst dafür entscheiden werden, sich auf die Familie zu konzentrieren. Und das ist auch völlig richtig so.“ Sabina Henrich-Bandis glaubt, dass die klassischen Geschlechterrollen in den kommenden Jahren immer mehr verwischen werden. „Ich finde es zum Beispiel klasse, dass sich heute auch immer mehr Väter für eine Elternzeit entscheiden. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar. In 20 Jahren wird es ganz normal sein.“ Dann wird es also noch deutlich häufiger als bisher heißen: „Hallo, Chefin!“