Volle Kraft voraus: Mit 35.000 PS über die Nordsee

sea & News, Ausgabe 44 (Sommer 2009)

Während die Schiffe Stena Hollandica und Stena Britannica im öffentlichen Bereich äußerst übersichtlich gestaltet sind, verbirgt sich hinter den Türen zum Maschinenraum ein wahres Labyrinth, gespickt mit steilen Treppen, schmalen Gängen und unzähligen Leitungen. Die Redaktion von Sea&News besuchte den „Herrscher“ über die vier jeweils rund 8800 PS starken Dieselmaschinen im Rumpf der Stena Britannica: Chefingenieur Frankie Mollett.

80 PS hat die neue Basisversion des Lieblingsautos der Deutschen, die derzeit in Wolfsburg vom Band rollt. Pferdestärken, über die Frankie Mollett nur müde lächeln kann. Denn bereits ein einziger der Motoren, für die er verantwortlich ist, hat über einhundert Mal so viel Power. Mollett ist Chefingenieur auf der Stena Line RoPax-Fähre „Stena Britannica“, die gleich mit vier dieser Kraftpakete ausgestattet ist. Unter anderem treiben die zusammen über 35.000 PS starken MANMaschinen die beiden Propeller am Heck des Schiffes an. Diese stammen aus dem Hause Rolls-Royce und drehen sich maximal 500 Mal pro Minute. So kann das 240 Meter lange Schiff problemlos auf die Geschwindigkeit von 22 Knoten, das entspricht rund 40 Stundenkilometern, beschleunigt werden.

Um Frankie Mollett in seinem Reich, das für Passagiere aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich ist, zu finden, benötigt man einen guten Orientierungssinn – oder man muss dem Ölgeruch folgen. Dieser steigt uns bereits auf Deck 7 in die Nase, als wir eine Tür öffnen, die mit „Crew only“ gekennzeichnet ist. Über das Treppenhaus, das sich dahinter verbirgt, kommen wir immer weiter in den Bauch des Schiffes, wechseln auf dem Weg in den „Keller“, wie der Maschinenraum auf Schiffen oft genannt wird, noch einmal die Treppe und hören nun bereits das monotone Brummen der Maschinen. „Eine Fähre wie die Stena Britannica ist wie eine kleine Stadt, in der rund um die Uhr Leben ist“, erklärt der Chefingenieur, den wir mittlerweile in seinem Maschinenleitstand entdeckt haben. Dort wacht der Engländer, der einen weißen Overall trägt, über Monitore und Anzeigetafeln. Stets hält er engen Kontakt mit der Brücke, auf der Kapitän Holmes gerade das Kommando zum Auslaufen gibt.


Alle Rudermanöver und Maschinenkommandos können im Leitstand in Echtzeit mitverfolgt werden. In den zwei angrenzenden, voneinander getrennten Maschinenräumen werden die Motoren lauter. „Jetzt ist das Bugstrahlruder in Betrieb“, erkennt Mollett trotz geschlossener Türen bereits am leicht veränderten Sound. Mit Hilfe dieser Technik kann das Schiff problemlos vom Kai „weggedrückt“ und fast auf der Stelle gedreht werden.

Mollett öffnet die Tür zum Maschinenraum. „Fast wie in der Sauna – was?“ fragt er schmunzelnd. Während wir bereits bei der bloßen Besichtigung der Maschinen ins Schwitzen geraten, sind die insgesamt fünf Mitarbeiter, die für die Wartung und den laufenden Betrieb zuständig sind, bei bis zu 80 Grad Lufttemperatur ständig in Aktion. Auch wenn es vor 100 Jahren, als die Schiffe noch mit Kohlen beheizt wurden, in Maschinenräumen noch wärmer war und die
Heizer körperlich härter arbeiten mussten, haben wir auch in der heutigen Zeit eine gehörige Portion Respekt für die Männer in ihrem „Reich“. Apropos: Noch immer ist der Beruf eine Männerdomäne, wovon auch Fotos leicht bekleideter Strandschönheiten an den Wänden des Leitstandes zeugen. „Aber die Frauen sind auch hier auf dem Vormarsch. Wir hatten vor einiger Zeit eine Ingenieurin hier“, sagt Mollett, und fügt hinzu: „Und sie hat ihren Job sehr gut gemacht.“

Mittlerweile hat die Stena Britannica den Hafen in Hoek van Holland verlassen, die Dienstgeschwindigkeit ist erreicht und die Motoren laufen ruhig. So wird der Fährgigant auch in dieser Nacht pünktlich den Hafen von Harwich erreichen. Mollett wird dort allerdings erst einmal von Bord gehen. Während er seine freien Tage genießen kann, wird ein anderer Chefingenieur, der 24 Stunden am Tag an Bord ist, dafür sorgen, dass die RoPax-Fähre sicher und zuverlässig auf der Nordsee pendelt – volle Kraft voraus.