Nicht erst, seit Sternekoch Jamie Oliver den Kochlöffel so öffentlichkeitswirksam schwingt, gibt es im Königreich auch viele positive kulinarische Überraschungen. Neben allen erdenklichen internationalen Spezialitäten haben die britischen Köche einheimische Zutaten für sich entdeckt und bereiten diese auf höchstem Niveau zu.
„Wir können keinen Leuten trauen, die solch schlechtes Essen haben“, soll der frühere französische Staatspräsident Jacques Chirac einmal in einem Gespräch mit Amtskollegen gesagt haben. Zwar sind
die Briten Spott und Häme über ihr Essen gewohnt, aber von einem „Froschfresser“, wie einige Boulevard-Zeitungen im Königreich am
nächsten Tag titelten, wollte man sich nun auch nicht kritisieren lassen. Ob sich Chirac seither in ein britisches Restaurant gewagt hat, um dort auf der Gabel Bestätigung für seine Aussage zu
finden, ist nicht überliefert. Fakt ist hingegen, dass die Franzosen im 19. Jahrhundert nicht auf ihre eigene, sondern die „cuisine anglaise“ verwiesen, wenn besonders erlesene Küche gefragt war.
Der ausgezeichnete Ruf der Briten begründete sich nicht nur durch den einfachen Zugang zu exotischen Gewürzen und Lebensmitteln während der Kolonialzeit, sondern auch durch die Tatsache, dass das
angestellte und bestens ausgebildete Hauspersonal eine hervorragende
Zubereitung gewährleistete. Durch die Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg und die Auflösung zahlreicher Kolonien änderte sich die Situation: Wer sich die Zutaten noch leisten konnte,
verstand wenig von der Zubereitung, wer hingegen kochen konnte, hatte nicht die Mittel, sich die Zutaten für erlesene Gerichte zu beschaffen. Heutzutage gibt es in Großbritannien allerdings
zahlreiche Sterne-Köche.
Gut, zugegeben: Schweinezunge, Kutteln mit Gemüsebeilage oder Knochenmark, wie es beispielsweise im Londoner In-Restaurant St. John – dem Trend „nose to tail eating“ (Essen von der Nase bis zum
Schweif) folgend – serviert wird, ist nicht jedermanns Sache. Aber die Küche jenseits des Kanals ist vielseitig. Man sollte bei allen Vorurteilen nie vergessen, dass es in Deutschland auch nicht
nur Eisbein mit Sauerkraut und Haxen gibt.
Der bekannteste Koch des Vereinigten Königreichs, den man auch weit über die Grenzen hinaus kennt, ist Jamie Oliver. Seine ersten Gerichte bereitete er im Pub seines Vaters zu. Heutzutage
flimmert er in zahlreichen Ländern täglich über die Mattscheibe, hat unzählige
Bücher und DVDs veröffentlicht. Im Restaurant Fifteen am Londoner Westland Place gibt der 34-jährige Sternekoch sozial benachteiligten Jugendlichen die Chance auf eine gute Ausbildung. Gekocht
wird auf hohem Niveau zu moderaten Preisen.
Gleich mehrere Restaurants im Vereinigten Königreich betreibt Gordon Ramsay. Sein Flaggschiff, das Restaurant Gordon Ramsay, im noblen Londoner Stadtteil Chelsea (Royal Hospital Road) wurde mit
drei von drei möglichen Michelin-Sternen ausgezeichnet. Auf der Karte des Küchenchefs, der als unerbittlicher Restaurant-Kritiker auch regelmäßig im deutschen Fernsehen (DMAX) zu sehen ist,
stehen Dreigang-Menüs für 90 Pfund (ca. 105 Euro). Als Spezialitäten des Hauses gelten unter Feinschmeckern zum einen das Cornwall-Lamm, zum anderen das besonders zarte Rinderfilet aus
Casterbridge, welches mit jahreszeitlich wechselnden Beilagen serviert wird. Ein weiteres Drei-Sterne-Restaurant
liegt rund 40 Kilometer vor den Toren Londons, nahe Windsor: das „Fat Duck“ in Bray. Der „Good Food Guide“ hat den ehemaligen Pub als „Best Restaurant in the UK 2008“ ausgezeichnet, die
„Restaurant Magazines International Academy“ sieht das Haus als „zweitbestes Restaurant weltweit“. Das Kommando in der Küche führt Heston Blumenthal, der die Philosophie vertritt, dass Essen ein
„multimodaler Prozess ist, in den alle Sinne involviert sind“. 130 Pfund (ca. 151 Euro) muss der Gast für ein multimodales Tasting-
Menü investieren. Serviert werden nicht etwa, wie der Name vermuten lässt, fette Enten, sondern Speisen, die Namen wie „Sound of the Sea“, „Mock Turtle Soup“ oder „Flaming Barley Sorbet“ tragen.
Deutlich günstiger ist das Nationalgericht „Fish & Chips“. Allerdings gibt es auch hier deutliche Unterschiede – nicht nur im Preis. Während es an vielen Straßenecken Londons noch immer
fettige Tüten mit fast undefinierbarem Inhalt gibt, kürt die „Federation of Fish Friers“ alljährlich das beste Fish & Chips Restaurant. Im vergangenen Jahr wurde die Anstrusher Fish Bar im
gleichnamigen schottischen Fischerdorf (rund 30 Kilometer südlich von Dundee) ausgezeichnet. Eines der Erfolgsgeheimnisse ist sicherlich die frische Ware. David Smith, Bruder des Bar-Besitzers
Rober t Smith, ist selbst Kapitän eines Fischkutters. Spezialität des Hauses ist der fangfrische Schellfisch (ab 5,40 Pfund, ca. 6,30 Euro). Es liegt sicherlich auch, aber nicht nur an der guten
Zubereitung des Fisches und der Pommes, dass täglich zahlreiche Gäste in den Imbiss von Connie Brown im walisischen Pembroke kommen. Die Inhaberin selbst ist wohl der Hauptgrund. Sie ist nämlich
mittlerweile 101 Jahre alt und steht seit 81 Jahren hinter der Theke, putzt und frittiert Fische. „Die Leute sagen, ich soll mir Zeit für mich selbst nehmen“, so Brown im Gespräch mit der Zeitung
„The Sun“. „Aber das Beste für mich ist arbeiten. Ich liebe es. Warum sollte ich entspannen, nur weil ich über 100 bin?“ Brown öffnete den Laden 1928 zusammen mit ihrem Mann. Da dieser
mittlerweile aber tot ist, greift ihr nun ihr 73 Jahre alter Sohn unter die Arme.
Ob Sterneküche, In-Lokal oder Fish & Chips-Bar – die britische Küche ist besser als ihr Ruf
und wartet förmlich darauf, erschmeckt zu werden.